Öland
fünf Jahre später,
als sein Vater an Land ging, um Schiffsmakler zu werden,
hatte er sie übernommen, in Wind umgetauft und Frachtverantwortung für Holzwaren und Weizen von Småland nach
Öland erhalten. Schon mit zweiundzwanzig Jahren war er
Kapitän.
Während des Zweiten Weltkrieges hatte er als Lotse vor
Öland gedient und zweimal mitansehen müssen, wie ein
Schiff mit der ganzen Besatzung unterging, weil die Seeleute
der Ansicht waren, einen sichereren Weg durch das Minenfeld zu kennen als die Lotsenboote.
Gerlof hatte in jenen Jahren in ständiger Angst vor Seeminen gelebt. In einem Albtraum, der ihn in manchen Nächten
selbst heute noch schweißgebadet aufwachen ließ, stand er
an der Reling des Lotsenbootes in blanker See im Sonnenuntergang und schaute ins Wasser und entdeckte plötzlich
eine große schwarze Mine unter der Oberfläche. Alt, verrostet und von wehendem Seegras bedeckt, aber mit Zündhörnern, die in wenigen Sekunden gegen den Schiffsrumpf stoßen und die Sprengladung auslösen würden.
Es war unmöglich, das Schiff anzuhalten, es glitt immer
dichter auf die Zündhörner zu … und kurz bevor der Rumpf
gegen die Mine stieß, wachte Gerlof auf.
Nach dem Krieg hatte er seinen zweiten Frachtsegler gekauft, den Wellenreiter , und begonnen, zwischen den zwei
Holmen zu pendeln: Borgholm und Stockholm, durch den
Södertälje-Kanal. Geladen wurde sogenannter Ölandsmarmor, roter Kalkstein für die Neubauten in der Hauptstadt,
und auf dem Rückweg häufig Kraftstoff, Frachtgut oder Kalk
für das Zentrallager von Borgholm. In den Häfen entlang der
Route lagen immer Frachter, die man kannte, und wenn jemand Hilfe benötigte, konnte er sich der Unterstützung seiner Kollegen sicher sein.
Damals gab es noch keine Rivalität, und Gerlof hatte vielHilfe erhalten in jener Dezembernacht 1951, als sein Wellenreiter Feuer fing, während sie bei Ängsö vor Anker lagen. Die
Ladung Leinöl hatte sich entzündet, und Gerlof und sein
Bootsmann schafften es mit knapper Not an Deck, ehe das
ganze Schiff in Flammen stand. Keiner der beiden konnte
schwimmen, aber ein anderer Frachter aus Oskarshamn hatte
neben ihnen geankert, dorthin konnten sie sich retten. Sie
bekamen jede Unterstützung, die sie benötigten, aber für
den Wellenreiter kam jede Hilfe zu spät, ihnen blieb nur noch,
den Anker lichten und das Schiff in die Nacht hinaustreiben
zu lassen.
Für Gerlof war das brennende und sinkende Schiff in jener
Winternacht ein treffendes Symbol für die öländische Seefahrt als Ganzes, auch wenn er das damals noch nicht wissen
konnte. Er hätte aufhören können, als er nach der Verklarung des Unfalls freigesprochen wurde, kaufte sich jedoch
aus purem Trotz von der Versicherungssumme einen neuen
Motorfrachter und fuhr weitere neun Jahre zur See. Der
Frachter Nore war sein letztes und schönstes Schiff gewesen,
schlank, mit einer schönen Achterpartie und einem melodisch tuckernden Motor. Manchmal hörte er noch Nores stampfenden Motor kurz vor dem Einschlafen.
1960 hatte er die Nore verkauft und war an Land gegangen, um in der Gemeindeverwaltung von Borgholm zu arbeiten, und damit begann sein Leben als Schreibtischtäter.
Der Vorteil war natürlich, dass er jeden Abend zu Ella nach
Hause fahren konnte. Er hatte einen Großteil der Kindheit
seiner Töchter verpasst, nun sah er sie wenigstens als Teenager aufwachsen. Und als Julia Mitte der Sechzigerjahre ein
Kind bekam, war es Gerlof vollkommen egal, ob sie verheiratet war oder nicht – er liebte den kleinen Jungen. Sein Enkelkind.
Jens Gerlof Davidsson.
Und dann kam jener Tag.
Es war Herbst. Julias Ausbildung zur Krankenschwester begann erst später, und sie konnte darum länger als sonst mit
Jens in Stenvik bleiben. Julia hatte ihren Sohn nach dem Mittagessen in der Obhut von Ella und Gerlof gelassen und war
über die neugebaute Brücke gefahren. Nach dem Kaffee hatte
Gerlof, ohne zu zögern und nichts Böses ahnend, Jens und
seine Frau allein gelassen und war zum Bootshaus gegangen,
um ein paar Fischernetze zu säubern und zu flicken, die er
am nächsten Morgen auslegen wollte.
Beim Bootshaus angekommen, hatte er den Nebel vom
Kalmarsund heranziehen gesehen; den dichtesten Nebel, der
ihm seit seinen Jahren auf See unter die Augen gekommen
war. Als er über den Strand trieb, spürte er ihn wie einen kalten Schleier auf der Haut, und er hatte gezittert, als
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