Öland
schon länger als ein Jahrzehnt
von Öland getrennt gewesen, damit müsse seine Strafe doch
verbüßt sein.
Und wenn ihn jemand zurückholen könne, wäre das sein
Onkel August.
Es hat lange gedauert, bis er eine Antwort bekommen hat.
Aber jetzt liegt ein Briefumschlag vor Nils auf dem Tisch. Der
Brief ist vor drei Wochen aus Schweden gekommen, mit einem
Scheck über zweihundert Dollar, und er hat ihn immer und
immer wieder gelesen.
Er ist von seinem Onkel August aus Ramneby in Småland. Er habe von seiner Schwester Vera gehört, dass er sich
in Südamerika aufhalte und nach Hause zurückkehren
wolle.
Du kannst nie wieder zurückkehren, Nils.
Das sind seine Worte. Der Brief ist nur eine Seite lang und
besteht fast ausschließlich aus ernsten Ermahnungen, aber
diesen einen Satz liest Nils immer wieder.
Du kannst nie wieder zurückkehren.
Nils versucht die Worte zu vergessen, aber es gelingt ihm
nicht.
Er liest den Satz erneut, und es kommt ihm vor, als würde
der tote Kommissar Henriksson lachend hinter ihm stehen
und ihm über die Schulter sehen.
Nie wieder, Nils.
Er gießt sich noch mehr Rotwein ins Glas, Mücken, so groß
wie schwedische Kronenstücke, tanzen über dem Strand,
eine Kakerlake kriecht über das Geländer.
Aus dem Inneren der Kneipe ertönt lautes Gelächter, knatternde Motorräder fahren durch die staubigen Straßen der
Stadt. In Limón ist es niemals still.
Nils nimmt einen Schluck und blinzelt. Die Welt ringsherum dreht sich, er fühlt sich krank.
»Quiero regresar a casa«, murmelt er in die Dunkelheit.
Nie wieder.
Nils ist erst dreißig Jahre alt – er ist noch jung.
Er wird nicht gehorchen. Stattdessen schreibt er weiter
Briefe an seine Mutter. Bittet sie, fleht sie an. Sie wird sich um
ihn kümmern.
Jetzt darfst du nach Hause kommen, Nils.
Das sind die Worte, auf die er wartet.
Und sie müssen bald kommen, sehr bald.
20
G erlof saß in seinem Rollstuhl und dachte nach. Ernst war
an dem Versuch gescheitert, einen Handel mit jemandem zu
schließen – aber ein Handel womit?
Ernst hatte sich nie viel aus Geld gemacht, das wusste Gerlof genau – es hatte ihm genügt, ab und zu eine Skulptur an
Touristen zu verkaufen, um von dem Geld Essen und Miete
bezahlen zu können. Das genügte ihm vollkommen. Aber
warum hatte er Gerlof dann nicht in seine Theorien über
Jens’ Verschwinden eingeweiht?
Er hatte den Kantstein gewählt. Das war Ernst gewesen.
Aber was sollte der Stein ihm sagen?
Gerlof kam immer wieder zum gleichen Schluss: Sollte
Nils Kant doch nicht tot sein, sollte es ihm gelungen sein, den
eigenen Tod zu fingieren und nach Schweden zurückzukehren, wie John es vermutet hatte – dann wären die Personen,
die nach der Wahrheit suchten, sehr gefährlich für ihn.
»Bist du so weit, Gerlof?«, fragte Astrid hinter ihm, als sie
am Gemeindehaus angekommen waren.
Er nickte.
»Dann wollen wir mal«, sagte sie und schob Gerlof mit
Schwung die Behindertenrampe hinauf.
Es waren nicht so viele Gäste im Gemeindehaus wie Besucher beim Begräbnis, aber Gerlof und Astrid mussten sich
dennoch einen Weg durch die Menge bahnen. Einige beugtensich zu Gerlof hinunter und fragten, wie es ihm gehe, aber
nach drei solch erniedrigenden Gesprächen zwang er sich,
aus dem Rollstuhl aufzustehen. Er wollte ihnen beweisen,
dass er trotz Schmerzen laufen konnte, dass er nicht gebrechlich war.
Astrid schob den Rollstuhl, und Gerlof stützte sich auf
seinen Stock und setzte seine Begrüßungstour fort. Gösta
Engström aus Borgholm war zum Glück nicht an seiner Gesundheit interessiert, und noch besser war es, dass seine Frau
Margit nicht neben ihm stand, als er auf wackeligen Beinen
auf ihn zukam. Sie konnten in Ruhe ein Gespräch über die Ereignisse der letzten Monate führen, und zum Schluss offenbarte Gerlof ihm, was er über Ernsts Tod dachte.
»Es war kein Unfall?«, fragte Gösta erstaunt.
Gerlof schüttelte den Kopf.
»Meinst du … es war Mord?«
»Jemand hat erst ihn und dann die Steinskulptur in den
Steinbruch gestoßen«, erklärte Gerlof. »Das glauben John und
ich zumindest.«
Er befürchtete, dass Gösta nur mit einem Kichern reagieren würde, aber Gösta sah ihn ernst an.
»Wer sollte so etwas tun?«, fragte er.
Gerlof schüttelte erneut den Kopf.
»Das ist die entscheidende Frage.«
Dann tauchte Margit Engström auf, um ihn zu begrüßen,
sie gaben sich die Hände, und er
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