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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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hätte ihnen jemand über Nacht die Wirbelsäule entfernt. Ich stellte den Kaffeebecher ab und ließmeine Tasche deutlich hörbar auf das Pult niederklatschen. Damit hatte ich schon mal ihre Aufmerksamkeit, da sie genau wussten, was sich in der Tasche befand.
    Ganz hinten hing die siebzehnjährige Jane Scavullo derart zusammengesunken in ihrem Stuhl, dass ich ihr bandagiertes Kinn beinahe nicht gesehen hätte.
    »Okay«, sagte ich. »Ich habe mir eure Storys angesehen, und ein paar davon sind richtig gut. Unglaublich, aber einigen von euch ist es sogar gelungen, ganze Absätze ohne das Wörtchen ›verfickt‹ auszukommen.«
    Ein paar von ihnen kicherten.
    »Wegen so was können Sie doch gefeuert werden, oder?«, fragte ein Bursche namens Bruno, von dessen Ohren zwei weiße Kabel herabhingen, die in seiner Jacke verschwanden.
    »Das will ich verfickt noch mal hoffen«, sagte ich. Ich zeigte auf meine Ohren. »Bruno, kannst du die Dinger eben mal rausmachen?«
    Bruno entfernte die Kopfhörer.
    Ich ging den Stapel Arbeiten durch – die meisten Geschichten waren am Computer geschrieben worden, einige mit der Hand – und zog eine heraus.
    »Also, ich habe euch ja erklärt, dass ihr nicht unbedingt über irgendwelche Ballereien oder Nuklearterroristen schreiben müsst, um den Leser zu fesseln – oder über Aliens, die irgendwem aus dem Körper brechen. Geschichten findet man auch im scheinbar banalsten Umfeld.«
    Eine Hand reckte sich. Brunos. »Ba-was?«
    »Banal. Gewöhnlich. Stinknormal.«
    »Wieso sagen Sie dann nicht ›stinknormal‹? Wieso kommen Sie uns mit einem Fremdwort, wenn’s auch mit einem stinknormalen Wort geht?«
    Ich grinste. »Am besten, du steckst dir die Dinger wieder rein.«
    »Nee, nachher verpasse ich ja noch was Banales.«
    »Ich lese jetzt mal was vor«, sagte ich und hielt eine der Storys hoch. Ich sah, wie Janes Kopf sich zwei, drei Millimeter hob. Vielleicht hatte sie das linierte Papier wiedererkannt; die handschriftlich verfassten Geschichten unterschieden sich deutlich von denen, die mit Laserprinter ausgedruckt worden waren.
    »›Ihr Vater – zumindest möchte er so genannt werden, mittlerweile schläft er lange genug mit ihrer Mutter – nimmt einen Karton Eier aus dem Kühlschrank und schlägt zwei von ihnen mit einer Hand in eine Schale. In der Pfanne brutzelt schon der Frühstücksspeck, und als sie die Küche betritt, nickt er in Richtung des Tischs. Er fragt sie, wie sie die Eier haben will, und sie sagt, egal, weil sie nicht weiß, was sie sagen soll, es hat sie noch nie jemand danach gefragt. Ihre Mutter steckt höchstens mal eine Fertig-Eierwaffel in den Toaster, und egal wie er die Eier macht, besser als eine beschissene Eierwaffel aus dem Toaster sind sie wahrscheinlich allemal.‹«
    Ich hörte auf zu lesen. »Will jemand etwas dazu sagen?«
    »Ich steh drauf, wenn das Eigelb noch flüssig ist«, blökte ein Junge hinter Bruno.
    Ein Mädchen auf der anderen Seite sagte: »Mir gefällt die Geschichte. Ich würde gern mehr über den Typerfahren. Vielleicht ist er ja gar kein Arschloch – so wie die Kerle, mit denen meine Mutter rummacht.«
    »Vielleicht macht ihr der Typ ja Frühstück, weil er mit ihr und ihrer Mutter rummachen will«, sagte Bruno.
    Gelächter.
    Eine Stunde später, als die anderen den Klassenraum verließen, sagte ich: »Jane.« Zögernd kam sie zu mir ans Pult. »Schlecht drauf?«, fragte ich.
    Sie zuckte mit den Schultern und fuhr sich mit der Hand über das verbundene Kinn, als wolle sie es vor mir verbergen und mich gleichzeitig darauf aufmerksam machen.
    »Gute Story. Deshalb habe ich sie vorgelesen.«
    Ein weiteres Schulterzucken.
    »Wie ich gehört habe, stehst du kurz davor, von der Schule zu fliegen.«
    »Die Schlampe hat angefangen«, sagte sie.
    »Du kannst schreiben«, sagte ich. »Die Story, die du vor zwei Wochen geschrieben hast, habe ich bei der Stadtbibliothek eingereicht. Für den Kurzgeschichtenwettbewerb.«
    Ein kurzes Leuchten trat in ihren Blick.
    »Deine Geschichten erinnern mich ein bisschen an Joyce Carol Oates«, sagte ich. »Hast du mal was von ihr gelesen?«
    Jane schüttelte den Kopf.
    »Versuch’s mal mit ›Bad Girls‹«, sagte ich. »Hier in der Schulbibliothek kriegst du das Buch wahrscheinlich nicht. Nichts für Kids. Aber in der Stadtbibliothek haben sie es bestimmt.«
    »War’s das?«, fragte sie.
    Ich nickte und sie verließ den Raum.

    Rolly saß vor dem Computer in seinem Büro und las irgendetwas. Er

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