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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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North Broad Street gearbeitet, von der man hinaus auf den Park sah, einen Katzensprung von der Stadtbibliothek entfernt, wo sie sich oft klassische Platten auslieh. Sie füllte die Regale auf, kassierte und assistierte ihrem Chef, wenn auch nur in kleineren Dingen. Sie hatte keine richtige Ausbildung, war sich auch bewusst, dass sie irgendeinen richtigen Beruf hätte erlernen müssen, aber letztlich ging es darum, sich finanziell über Wasser zuhalten. Dasselbe galt für ihre Schwester Tess, die drüben in Bridgeport in einer Fabrik arbeitete, die Teile für Radios herstellte.
    Und eines Tages betrat Clayton den Laden, weil er Heißhunger auf einen Marsriegel hatte.
    Hätte ihr künftiger Ehemann auf der Fahrt durch Milford im Juli 66 nicht plötzlich unbezwingbare Lust auf einen Schokoriegel verspürt, wäre alles ganz anders gekommen, wie Patricia zu sagen pflegte.
    Aber alles lief bestens. Sie verliebten sich Hals über Kopf ineinander, und ein paar Wochen nach der Hochzeit war Patricia bereits mit Todd schwanger. Kurz darauf hatte Clayton ein Haus gefunden, das sie sich leisten konnten, das Anwesen an der Hickory Lane, einer Seitenstraße der Pumpkin Delight Road, nur einen Steinwurf vom Strand und der Meerenge von Long Island entfernt. Clayton wollte, dass seine Frau und sein Kind ein richtiges Zuhause hatten, während er unterwegs auf Geschäftsreisen war. Er war Vertreter für Maschinenöl und andere Schmierstoffe; sein Reisegebiet deckte die Gegend zwischen New York und Chicago ab und erstreckte sich bis hinauf nach Buffalo. Er hatte jede Menge Kunden, die ihn ganz schön auf Trab hielten.
    Zwei Jahre später kam Cynthia zur Welt.
    Über all das dachte ich auf der Fahrt zur Old Fairfield Highschool nach. Wenn ich unterwegs war und die Gedanken schweifen ließ, sann ich oft über die Vergangenheit meiner Frau nach, über ihre Kindheit, über ihre Verwandten, die ich nie kennengelernt hatte und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie kennenlernen würde.
    Hätte sich die Gelegenheit dazu ergeben, hätte ich Cynthia vielleicht besser verstanden. Andererseits war die Frau, die ich kannte und liebte, sicher nachhaltiger von ihrem späteren Leben als von ihrer Kindheit geprägt worden.
    Ich ging noch auf einen Sprung zu »Dunkin’ Donuts«, um mir einen Kaffee zu holen, und verzichtete schweren Herzens auf ein Donut mit Zitronencreme. Als ich, die Tasche mit den Aufsätzen in der einen, den Kaffeebecher in der anderen Hand, zur Schule marschierte, erblickte ich Roland Carruthers, seines Zeichens Schuldirektor und obendrein mein wohl bester Freund unter den Kollegen.
    »Rolly«, sagte ich.
    »Wie?«, fragte er mit Blick auf den Pappbecher in meiner Hand. »Du hast mir keinen mitgebracht?«
    »Wenn du meine erste Stunde übernimmst, hol ich dir einen.«
    »Bei der Klasse bräuchte ich wohl was Stärkeres.«
    »So schlimm ist sie nun auch wieder nicht.«
    »Vandalen sind das«, sagte er, ohne auch nur ansatzweise das Gesicht zu verziehen.
    »Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, welche Klasse ich heute zuerst habe«, sagte ich.
    »Auf dieser Schule sind alle Vandalen«, sagte Rolly mit nach wie vor unbewegter Miene.
    »Was passiert eigentlich mit Jane Scavullo?«, fragte ich. Das Mädchen war in meinem Kurs für kreatives Schreiben. Sie kam aus zerrütteten Familienverhältnissen, über die niemand aus dem Kollegium Genaueres wusste, und verbrachte ihre halbe Schulzeit auf demSekretariat. Zufällig schrieb sie wie ein Engel. Wie ein Engel, der einem wohl nur allzu gern mitten ins Gesicht geschlagen hätte, aber nichtsdestotrotz wie ein Engel.
    »Ich habe ihr gesagt, dass sie so nah vor dem Rauswurf steht«, sagte Rolly und hielt Daumen und Zeigefinger einen Zentimeter auseinander. Jane und ein anderes Mädchen waren ein paar Tage zuvor vor dem Schulgebäude aneinandergeraten und hatten sich beinahe die Augen ausgekratzt. Offensichtlich ging es um einen Jungen – worum auch sonst? Jede Menge Schaulustige waren dabei gewesen, um den Fight mitzuverfolgen, bis Rolly dazugekommen war und die beiden getrennt hatte.
    »Was hat sie dazu gesagt?«
    Rolly tat so, als würde er betont lässig auf einem Kaugummi herumkauen, und schmatzte dabei.
    »Nun ja«, sagte ich.
    »Du magst sie«, sagte er.
    Ich nahm den Deckel von meinem Becher und trank einen Schluck. »Eine gewisse Sympathie ist vorhanden«, sagte ich.
    »So leicht schreibst du niemanden ab, was?«, sagte Rolly. »Aber mal ehrlich, du hast auch positive

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