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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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lief in die Küche, zog sich einen Stuhl heran, um das Gefrierfach zu erreichen, nahm sich noch einen Löffel aus der Anrichte und eilte zurück in den Keller.
    Ich sah Tess an. Ihre Augen schimmerten feucht.
    »Ich finde, du solltest es Cynthia selbst sagen«, sagte ich.
    Sie ergriff meine Hand. »Ja, natürlich. Ich wollte nur erst mit dir darüber reden. Damit sie jemanden hat, der ihr darüber hinweghelfen kann.«
    »Ich muss das selbst erst mal verarbeiten.«
    Tess lächelte. »Du bist ein guter Junge. Mit dir hat Cynthia einen echten Hauptgewinn gezogen.«
    Sie senkte den Blick, drückte meine Hand aber ein wenig fester. »Ich muss dir noch etwas sagen.«
    Ihrem Tonfall nach musste es sich um etwas noch Ernsteres handeln als ihren bevorstehenden Tod.
    »Es gibt da ein paar Dinge, die ich mir von der Seele reden muss, solange ich noch dazu imstande bin. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ich glaube schon.«
    »Und viel Zeit bleibt mir ja nicht mehr. Was, wenn mir etwas zustößt und ich schon morgen nicht mehr bin? Jedenfalls gibt es da etwas, was ihr wissen solltet.Obwohl ich Cynthia wirklich nicht noch mehr Qualen bereiten will.« Sie seufzte. »Ach, wahrscheinlich werde ich letztlich nur neue Fragen aufwerfen.«
    »Tess, worum geht es?«
    »Jetzt mal langsam mit den jungen Pferden. Lass mich in Ruhe ausreden. Wie auch immer, mir ist wichtig, dass ihr davon erfahrt – es könnte ein wichtiges Puzzlestück sein. Ich kann mir absolut keinen Reim auf die Sache machen, aber vielleicht findet ihr ja eines Tages doch heraus, was mit Clayton, Patricia und Todd passiert ist. Wer weiß, vielleicht könnt ihr dann ja etwas damit anfangen.«
    Ich atmete zwar völlig normal, aber trotzdem kam es mir vor, als würde ich die Luft anhalten.
    »Was ist los?« Tess sah mich an, als hätte ich sie nicht alle. »Willst du’s nun wissen oder nicht?«
    »Herrgott noch mal, Tess, ich warte.«
    »Es geht um das Geld«, sagte sie.
    »Um welches Geld?««
    Tess nickte schwach. »Ich habe Geld bekommen. Einfach so. Aus heiterem Himmel.«
    »Woher?«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Tja, das ist die Frage. Ich weiß nicht, woher es kam. Oder von wem.«
    Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Stirn, allmählich leicht genervt. »Erzähl einfach mal der Reihe nach.«
    Tess holte tief Luft. »Für Cynthia zu sorgen war wirklich nicht einfach für mich. Aber wie schon gesagt, ich hatte keine Wahl. Und ich hätte auch gar keine andere treffen wollen. Schließlich war sie meine Nichte, dasFleisch und Blut meiner Schwester. Ich habe sie geliebt, als wäre sie mein eigenes Kind. Eigentlich war sie ein ziemlich wildes Mädchen, aber die damaligen Ereignisse haben sie ziemlich verändert. Sie wurde vernünftiger, und auch in der Schule klappte es besser. Natürlich hat sie das eine oder andere Mal über die Stränge geschlagen. Eines Abends wurde sie von der Polizei nach Hause gebracht, weil sie Marihuana bei ihr gefunden hatten.«
    »Im Ernst?«
    Tess lächelte. »Sie ist mit einer Verwarnung davongekommen.« Sie legte einen Finger an die Lippen. »Aber das behältst du für dich, klar?«
    »Klar.«
    »Ist ja wohl auch logisch, dass jemand durchknallt, wenn plötzlich die gesamte Familie auf Nimmerwiedersehen verschwindet, oder?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Aber andererseits wollte sie ihr Leben in den Griff bekommen. Sie wollte etwas aus sich machen, beweisen, dass sie nicht völlig nutzlos war – für den Fall, dass ihre Familie eines Tages zurückkehren würde. Deshalb hat sie dann auch mit dem Studium begonnen.«
    »An der University of Connecticut«, sagte ich.
    »Genau. Eine hervorragende Uni. Aber leider nicht ganz billig. Auf Dauer hätte ich mir das nicht leisten können. Ihre Noten waren zwar nicht schlecht, aber für ein Stipendium hätten sie wohl nicht gereicht. Jedenfalls war ich drauf und dran, einen Kredit aufzunehmen.«
    »Verstehe.«
    »Der erste Umschlag lag eines Tages im Wagen, auf dem Beifahrersitz«, sagte Tess. »Einfach so. Ich kommegerade von der Arbeit, setze mich ins Auto, und auf einmal bemerke ich diesen weißen Umschlag neben mir. Ich hatte den Wagen zwar abgeschlossen, aber die Fenster einen Spalt aufgelassen, weil es an jenem Tag so unerträglich heiß war. Der Spalt war gerade groß genug, dass der Umschlag durchpasste. Der Umschlag war nämlich ziemlich dick.«
    »Und in dem Umschlag war Geld«, sagte ich.
    »Knapp fünftausend Dollar in bar«, sagte Tess. »Zwanziger, Fünfziger, Hunderter, alle

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