Ohne ein Wort
beweisen. »Das stimmt einfach nicht, Cyn. Ich habe nichts dergleichen verlauten lassen.«
»Trotzdem hast du es gedacht«, sagte Cynthia, aber sie klang nicht ärgerlich. Sie berührte mich am Arm. »Ich werfe dir doch gar nichts vor, Terry. Ich weiß selbst, wie schwierig das Zusammenleben mit mir ist, und zwar nicht erst in den letzten Wochen, sondern seit wir uns kennen. Meine Vergangenheit hat doch von Anfang an wie ein Damoklesschwert über uns geschwebt. Ich habe versucht, sie zu verdrängen, aber sie holt mich immer wieder ein. Als wir uns kennenlernten …«
»Cynthia …«
»Als wir uns kennenlernten, wusste ich von vornherein, dass ich dich unweigerlich in meine Probleme hineinziehen würde. Aber ich habe nur an mich gedacht. Ich wollte dich unbedingt und habe dabei in Kauf genommen, dass du von meiner Vergangenheit erdrückt wirst.«
»Cyn …«
»Du warst immer so verständnisvoll. Du hast eine Engelsgeduld und ich bewundere dich dafür. An deiner Stelle wäre ich längst verzweifelt. Ich weiß doch genau, was in dir vorgeht: ›Irgendwann muss sie doch wieder nach vorn schauen. Verdammt noch mal, komm endlich drüber hinweg.‹«
»So würde ich nie denken, Schatz.«
Dr. Kinzler behielt uns genau im Auge.
»Aber ich denke so«, sagte Cynthia. »Tausendmalhabe ich es mir gesagt. Und ich wünschte, ich könnte die Vergangenheit ruhen lassen. Aber manchmal, so verrückt es sich anhören mag …«
Dr. Kinzler und ich hörten ihr konzentriert zu.
»Manchmal kann ich sie hören. Meine Mutter, meinen Bruder, Dad. So als stünden sie neben mir, als würden sie mit mir reden.«
»Und sprechen Sie auch mit ihnen?«, fragte Dr. Kinzler.
»Ich glaube schon«, sagte Cynthia.
»Befinden Sie sich dann in einer Art Traumzustand?«, fragte Dr. Kinzler.
Cynthia überlegte. »Wahrscheinlich. Jetzt zum Beispiel höre ich sie ja nicht. Und auf der Fahrt hierher habe ich sie auch nicht gehört.«
Insgeheim gab ich einen erleichterten Seufzer von mir.
»Also höre ich sie wohl, wenn ich schlafe oder vor mich hin träume. Aber trotzdem ist es so, als wären sie mir ganz nahe, als würden sie versuchen, mit mir zu sprechen.«
»Und was sagen sie?«, fragte Dr. Kinzler.
Cynthia ließ meinen Arm los und verschränkte die Hände im Schoß. »Ich weiß nicht. Es kommt drauf an. Dies und das, nichts Besonderes. Sie reden darüber, was es zum Abendessen gibt oder was gerade im Fernsehen läuft. Aber manchmal …«
Offenbar sah es so aus, als wollte ich Cynthia erneut ins Wort fallen; jedenfalls warf mir Dr. Kinzler einen scharfen Blick zu. Aber ich hatte nur unwillkürlich den Mund geöffnet, da ich mich fragte, was jetzt kommenwürde. Mir gegenüber hatte sie nie zugegeben, dass sie die Stimmen ihrer verschwundenen Verwandten hörte.
»Manchmal kommt es mir so vor, als würden sie mich zu sich rufen.«
»Zu sich rufen?«, sagte Dr. Kinzler.
»Als würden sie mich bitten, zu ihnen zu kommen. Damit wir wieder eine Familie sein können.«
»Und was erwidern Sie dann?«, fragte Dr. Kinzler.
»Dass es nicht geht, so gern ich bei ihnen sein würde.«
»Warum nicht?«, fragte ich.
Cynthia sah mir in die Augen und lächelte traurig.
»Weil sie wahrscheinlich an einem Ort sind, an den ich Grace und dich nicht mitnehmen könnte.«
ACHT
»Warum tu ich’s eigentlich nicht gleich? Das geht ruck, zuck, und dann komme ich wieder nach Hause.«
»Nein, auf keinen Fall. Es freut mich, mit welchem Feuereifer du bei der Sache bist. Ich bin wirklich stolz auf dich. Trotzdem sollten wir nichts überstürzen. Die Sache muss in aller Ruhe vorbereitet werden. Also zügle deine Ungeduld. Früher war ich genauso. Ungestüm, impulsiv, unbedacht. Aber inzwischen weiß ich, dass sich Geduld auszahlt.«
»Ich will es dir doch nur recht machen.«
»Das weiß ich. Du warst schon immer ein Goldstück. Wenigstens einer hier, der sich anständig benimmt. Du bist ein guter Junge und ich liebe dich über alles.«
»Also, ein Junge bin ich ja eigentlich nicht mehr. Du bist schließlich auch kein Mädchen mehr.«
»Das Alter spielt dabei keine Rolle. Für mich wirst du immer mein Junge bleiben.«
»Das wird bestimmt komisch, ihnen den Garaus zu machen.«
»Ich weiß. Aber genau das habe ich dir ja zu erklären versucht. Gedulde dich noch etwas, und am Ende wird es dir vorkommen wie die natürlichste Sache der Welt.«
»Das glaube ich auch.«
»Führ dir nur immer wieder vor Augen, dass der Tod Teil des Lebens ist. Er gehört
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