Ohne ein Wort
ihr Lächeln. »Das hast du dir verdient.«
»Ich mag einen Milchshake«, sagte Grace. »Mit Kirschgeschmack.«
Als wir wieder zu Hause waren, hockte sich Grace vor den Fernseher, um sich auf dem Discovery Channel eine Sendung über die Ringe des Saturns anzusehen, während Cynthia und ich uns in die Küche setzten. Ich nahm mir einen Notizblock und begann zu rechnen, wie wir es immer machten, wenn größere Ausgaben anstanden.
»Na ja«, sagte ich schließlich, »wenn wir uns Mr Abagnall zwei Wochen leisten, landen wir wahrscheinlich auch nicht gerade im Armenhaus.«
Cynthia legte ihre Hand auf meine. »Ich liebe dich.« Aus dem Wohnzimmer hörten wir den laufenden Fernseher.
»Habe ich dir mal erzählt, wie ich eine der Musikkassetten meiner Mutter kaputtgemacht habe?«
»Nein.«
»Ich war elf oder zwölf, und Mom hatte endlos viele Kassetten. Simon & Garfunkel, Neil Young und jede Menge andere Sachen, aber am liebsten mochte sie James Taylor. Sie meinte, er hätte die Gabe, sie froh zu machen – oder traurig, je nachdem. Na ja, eines Tages jedenfalls war ich stinkwütend auf Mom, weil sie mein Lieblings-T-Shirt nicht gewaschen hatte, und ich habe sie angefahren, sie würde sich nicht richtig um uns kümmern.«
»Das kam bestimmt gut bei ihr an.«
»Aber hallo. Sie hat nur gesagt, ich wüsste ja, wo die Waschmaschine steht, wenn es so eilig sei. Während wir uns anfauchten, lief eine ihrer Kassetten, und ich war so sauer, dass ich sie einfach aus dem Recorder riss und auf den Boden warf. Und dabei ist die Kassette zerbrochen.«
Ich hörte aufmerksam zu.
»Ich stand wie angewurzelt da, völlig fassungslos über das, was ich getan hatte, und dachte, sie würde mich auf der Stelle umbringen. Aber stattdessen klaubte sie seelenruhig den Bandsalat auf, warf einen Blick auf die kaputte Kassette und sagte: ›James Taylor. Da ist Your Smiling Face drauf. Mein Lieblingssong. Und weißt du, warum ich den Song so mag? Weil ich dabei immer an dein Lächeln denken muss, daran, wie sehr ich dich liebe. Tja, leider hätte ich das Lied gerade jetzt mal wieder bitter nötig.‹«
Cynthia sah mich mit feuchten Augen an.
»Nach der Schule bin ich losgezogen und habe im Plattenladen nach dem Album gesucht. JT heißt es. Sie hatten es auf Kassette. Ich hab’s gekauft und ihr mitgebracht. Und dann hat sie das Zellophan abgemacht, die Kassette in den Recorder gesteckt und mich gefragt, ob ich ihr Lieblingsstück hören will.«
Eine einzelne Träne rann ihre Wange herab und fiel auf den Küchentisch. »Ich liebe dieses Lied«, sagte sie. »Und ich vermisse sie so sehr.«
Später rief Cynthia bei Tess an. Ohne bestimmten Grund, einfach nur so. Als sie anschließend in unser kleines Zimmer mit der Nähmaschine und dem Computer kam, wo ich gerade ein paar Notizen in meine alte Royal hämmerte, sah ich, dass sie geweint hatte.
Tess habe gedacht, sie sei sterbenskrank, erzählte sie mir, doch Gott sei Dank habe sich herausgestellt, dass die erste Diagnose ein Irrtum gewesen sei. »Sie meinte,sie hätte mich nicht damit belasten wollen, weil ich ohnehin schon so viel um die Ohren hätte. Ist doch wohl nicht zu fassen, oder?«
»Verrückt«, sagte ich.
»Aber nachdem sich jetzt herausgestellt hat, dass alles in Ordnung ist, wollte sie es mir doch erzählen. Ich wünschte nur, sie hätte schon vorher etwas gesagt, verstehst du? Sie war immer für mich da, und die paar Problemchen in meinem eigenen Leben spielen doch überhaupt keine Rolle …« Erneut traten ihr Tränen in die Augen. »Der Gedanke, sie zu verlieren, ist mir schlicht unerträglich.«
»Ja«, sagte ich. »Das geht mir genauso.«
»Und deine Jubelstimmung? Die hatte doch wohl nichts mit …«
»Quatsch«, sagte ich. »Natürlich nicht.«
Im Grunde hätte ich ruhig mit der Wahrheit herausrücken können, entschied mich aber dagegen.
»Mist, fast hätte ich’s vergessen«, sagte Cynthia. »Du sollst Tess zurückrufen. Wahrscheinlich will sie es dir selbst sagen. Also verrate ihr bloß nicht, dass ich dir schon alles erzählt habe, okay? Ich konnte es einfach nicht für mich behalten.«
»Ehrensache«, sagte ich.
Ich ging nach unten und wählte Tess’ Nummer.
»Ich hab’s ihr erzählt«, sagte Tess.
»Schon gehört«, sagte ich. »Danke.«
»Er war inzwischen hier.«
»Wer?«
»Der Detektiv. Dieser Mr Abagnall. Ein sehr netter Mann.«
»Ja.«
»Seine Frau rief an, während er hier war. Um ihm zu sagen, was es zum Abendessen gibt.«
»Und was
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