Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
Vom Netzwerk:
gewesen sein mag?«
    Cynthia überlegte einen Augenblick. »Inzwischen halte ich alles für möglich.«
    »Tja, das wär’s dann. Danke für den Kaffee.«
    Ehe Abagnall ging, gab er Cynthia die Schuhkartons mit ihren Erinnerungsstücken zurück. Als Cynthia die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wandte sie sich zu mir um. »Wer war mein Vater?«, fragte sie. »Wer, um Himmels willen, war er wirklich?«
    Unwillkürlich musste ich an Jane Scavullos Hausaufgabe denken. Daran, dass man eigentlich niemanden wirklich kennt, und wie oft es vorkommt, dass man imGrunde nicht das Mindeste über die Menschen weiß, die einem am nächsten stehen.

    Fünfundzwanzig Jahre lang hatte Cynthia in Angst und Ungewissheit gelebt, ohne den geringsten Anhaltspunkt über den Verbleib ihrer Familie. Doch auch wenn wir immer noch nicht wussten, was passiert war, stiegen nach und nach Informationen an die Oberfläche wie Planken eines gesunkenen Schiffs – etwa, dass Cynthias Vater womöglich irgendwo unter anderem Namen lebte oder dass Vince Fleming offenbar eine weit dunklere Vergangenheit hatte als zunächst angenommen. Dazu kamen der anonyme Anruf, der ominöse Hut auf unserem Küchentisch, der nächtliche Fremde vor unserem Haus und die Enthüllung, dass Tess jahrelang aus unbekannter Quelle Geld erhalten hatte.
    Es war wichtig, dass Cynthia endlich davon erfuhr. Aber ich fand, dass sie es von Tess erfahren sollte.
    Während des Abendessens gaben wir uns alle Mühe, uns nicht weiter mit den Fragen zu befassen, die Abagnall aufgeworfen hatte; Grace hatte ohnehin schon zu viel mitbekommen. Dauernd spitzte sie die Ohren, schnappte mal hier, mal dort etwas auf und machte sich mit ziemlicher Sicherheit ihren eigenen Reim auf das Gehörte. Cynthias Familiengeschichte, die geldgierige Hellseherin, Abagnalls Nachforschungen – wir machten uns Sorgen, dass Grace’ Ängste sich noch verstärken würden.
    Aber unsere Taktik war sinnlos, da Grace das Thema wie so oft selbst aufs Tapet brachte.
    »Wo ist eigentlich der Hut?«, fragte sie nach ein paar Gabeln Kartoffelbrei.
    »Was?«, sagte Cynthia.
    »Der Hut. Von deinem Vater. Wo hast du ihn hingetan?«
    »In meinen Schrank«, erwiderte Cynthia.
    »Kann ich ihn mal sehen?«
    »Nein«, sagte Cynthia. »Das ist kein Spielzeug.«
    »Ich will nicht damit spielen. Ich will ihn bloß mal sehen.«
    »Und ich will, dass der Unsinn mit dem Hut ein für alle Mal aufhört!«, fauchte Cynthia sie an.
    Grace fügte sich und aß ihren Kartoffelbrei.
    Cynthia war sichtlich angespannt, und wer hätte ihr das verdenken können – schließlich hatte sie gerade erst erfahren, dass der Mann, den sie als Clayton Bigge gekannt hatte, womöglich jemand ganz anderer gewesen war.
    »Wie wär’s, wenn wir noch zu Tess rüberfahren?«, fragte ich.
    »O ja!«, sagte Grace.
    Cynthia reagierte, als würde sie gerade aus einem Traum erwachen. »Wollten wir sie nicht morgen besuchen?«
    »Ja, aber wir haben eine Menge zu bereden. Jedenfalls sollte sie erfahren, was Mr Abagnall gesagt hat.«
    »Was hat er denn gesagt?«, fragte Grace.
    Ich warf ihr einen warnenden Blick zu.
    »Ich habe vorhin schon bei Tess angerufen«, sagte Cynthia. »Aber sie war nicht da. Ich habe ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.«
    »Ich rufe noch mal an«, sagte ich und holte mir das Telefon. Der Wählton erklang ein halbes Dutzend Mal, dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Aber da Cynthia ja bereits eine Nachricht hinterlassen hatte, legte ich wieder auf.
    »Ich hab’s dir doch gesagt«, sagte Cynthia.
    Ich warf einen Blick auf die Küchenuhr. Es war fast sieben. Tess würde sicher bald zu Hause sein. »Ach komm, lass uns einfach so hinfahren. Bis wir dort sind, ist Tess bestimmt längst zurück, und wenn nicht, können wir ja kurz auf sie warten. Du hast doch sowieso einen Schlüssel, oder?«
    Cynthia nickte.
    »Meinst du nicht, das kann bis morgen warten?«, fragte sie.
    »Na ja, Tess würde sicher gern hören, was Mr Abagnall herausgefunden hat. Und vielleicht will sie dir ja selbst noch das eine oder andere anvertrauen.«
    »Anvertrauen?«, sagte Cynthia. »Was meinst du damit?« Auch Grace musterte mich neugierig, spürte aber offenbar, dass sie jetzt besser nichts Neunmalkluges von sich gab.
    »Ach, ich weiß nicht. Die neuen Informationen könnten sie an Sachen erinnern, an die sie seit Ewigkeiten nicht mehr gedacht hat. Wenn sie erfährt, dass dein Vater möglicherweise unter falschem Namen gelebt hat,

Weitere Kostenlose Bücher