Ohne ein Wort
Besteckschublade.
Er wandte sich um, ging zum Tisch und setzte sich.
Er war etwa so alt wie ich, obwohl er sich, rein objektiv gesehen, nicht ganz so gut gehalten hatte. Sein Gesicht war voller Aknenarben; über seinem rechten Auge befand sich eine deutlich sichtbare, etwa zwei Zentimeter lange Narbe, und sein ehemals schwarzes Haar war von jeder Menge Grau durchsetzt. Er trug schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt, unter dessen rechtem Ärmel der Ansatz einer Tätowierung zu sehen war. Das T-Shirt spannte sich über seinem Bauch, und er gab einen angestrengten Seufzer von sich, als er sich setzte.
Er wies auf den ihm gegenüberstehenden Stuhl. Ich trat vorsichtig näher und nahm Platz. Er griff nach einer Ketchupflasche, drehte sie um und ließ eine satte Portion auf sein Rührei mit Würstchen tropfen. Vor ihm stand ein Kaffeebecher, und als er danach griff, sagte er: »Auch einen?«
»Nein, danke«, sagte ich. »Ich habe gerade erst Kaffee getrunken. In der Donut-Bude schräg gegenüber von Ihrer Werkstatt.«
»Der Laden gehört mir«, sagte er.
»Tatsächlich?«
»Der Kaffee da schmeckt doch fürchterlich«, sagte er.
»Wohl wahr«, sagte ich.
»Kenne ich Sie irgendwoher?«, fragte er und schob sich eine Gabel Rührei in den Mund.
»Nein«, sagte ich.
»Wieso haben Sie sich dann nach mir erkundigt?«
»Sorry«, sagte ich. »Ich wollte Sie nicht beunruhigen.«
»Beunruhigen?« Vince Fleming stach mit der Gabel in eines der Würstchen und schnitt sich ein Stück mit dem Steakmesser ab. »Na ja, ich werde jedenfalls ziemlich hellhörig, wenn jemand andere nach mir ausfragt.«
»Das konnte ich ja nicht wissen.«
»Konkurrenten mit unorthodoxen Geschäftspraktiken sind in meinem Business keine Seltenheit.«
»Das glaube ich gern«, sagte ich.
»Tja, und deshalb arrangiere ich bisweilen ein Treffen, bei dem ich den Arm am längeren Hebel habe.«
»Verstehe«, sagte ich.
»Also, wer zum Teufel sind Sie?«
»Mein Name ist Terry Archer. Sie hatten mal was mit meiner Frau.«
»Ach ja?«, sagte er.
»Ist schon eine Weile her, aber …«
Vince Fleming sah mich finster an, während er ein weiteres Stück Würstchen vertilgte. »Was soll der Scheiß? Selbst wenn ich mit Ihrer Lady rumgemacht haben sollte … Ist doch nicht mein Problem, wenn Sie es ihr nicht ordentlich besorgen können.«
»Darum geht’s gar nicht«, sagte ich. »Meine Frau heißt Cynthia. Cynthia Bigge, das war ihr Mädchenname.«
Er kaute nicht weiter. »Oh. Verdammt, das ist echt lange her.«
»Fünfundzwanzig Jahre«, sagte ich.
»Nett, dass Sie sich endlich mal vorstellen«, sagte Vince Fleming.
»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll«, sagte ich. »Sie erinnern sich doch bestimmt, was damals passiert ist.«
»Klar. Ihre Familie ist spurlos verschwunden.«
»Genau. Und jetzt hat man die Leichen von Cynthias Mutter und ihrem Bruder gefunden.«
»Todd?«
»Ja.«
»Ich kannte Todd.«
»Gut?«
»Ein bisschen«, sagte Vince Fleming schulterzuckend. »Na ja, wir gingen auf dieselbe Schule. Er war ganz in Ordnung.«
»Sind Sie überhaupt nicht neugierig, wo sie gefunden wurden?«
»Das werden Sie mir wohl sowieso auf die Nase binden.« Er schaufelte sich eine weitere Gabel Rührei mit Ketchup in den Mund.
»Auf dem Grund eines Sees in Massachusetts. In einem gelben Ford Escort. Dem Wagen von Cynthias Mutter.«
»Meinen Sie das ernst?«
»Todernst.«
»Da haben sie dann bestimmt schon eine ganze Weile gelegen«, sagte Vince Fleming. »Wie hat die Polizei die Leichen identifiziert?«
»Durch einen DNA -Test«, sagte ich.
Staunend schüttelte er den Kopf. »Unglaublich, was die heute alles so draufhaben.«
»Außerdem ist Cynthias Tante vor kurzem ermordet worden«, sagte ich.
Vince Flemings Augen verengten sich. »Cynthia hat mir mal von ihr erzählt, glaube ich. Hieß sie nicht Bess?«
»Tess.«
»Ja, genau. Und die hat’s erwischt?«
»Sie ist erstochen worden. In ihrer Küche.«
»Hmm«, sagte Vince Fleming. »Gibt’s einen bestimmten Grund, warum Sie mir das erzählen?«
»Cynthia ist verschwunden«, sagte ich. »Sie ist auf und davon. Mit unserer Tochter. Sie ist acht und heißt Grace.«
»Schöne Scheiße«, sagte er.
»Erst habe ich gedacht, Cynthia würde vielleicht Sieaufsuchen. Sie will in Erfahrung bringen, was in jener Nacht geschehen ist, und Sie könnten ihr möglicherweise helfen, die eine oder andere Antwort zu finden.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Nun ja, abgesehen von ihrer
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