Ohne ein Wort
Familie waren Sie wahrscheinlich der Letzte, der Cynthia an jenem Abend gesehen hat. Außerdem sind Sie mit ihrem Vater aneinandergeraten, als er Cynthia nach Hause bringen wollte.«
Im selben Augenblick griff er blitzschnell über den Tisch, packte mit der Rechten mein linkes Handgelenk und zog es zu sich herüber, während er mit der Linken nach dem Steakmesser langte, mit dem er eben noch seine Würstchen zerteilt hatte. Er schwang das Messer in hohem Bogen und rammte es zwischen meinem Mittel- und Ringfinger in die Tischplatte.
Unwillkürlich stieß ich einen Schrei aus.
Vince Flemings Faust schloss sich wie ein Schraubstock um mein Handgelenk. »Was wollen Sie damit sagen?«, knurrte er.
Mein Puls schlug so rasend schnell, dass ich kein Wort herausbrachte. Entsetzt starrte ich auf das Messer; ich konnte es kaum fassen, dass er nicht doch meine Hand aufgespießt hatte.
»Jetzt stelle ich Ihnen mal ’ne Frage«, sagte Vince Fleming mit gefährlich leiser Stimme. »Kürzlich hat hier noch ein anderer Typ nach mir rumgefragt. Wissen Sie etwas davon?«
»Was für ein anderer Typ?«, fragte ich.
»Um die fünfzig, gedrungene Statur, wahrscheinlich ein Privater. So auffällig wie Sie hat er sich jedenfalls nicht verhalten.«
»Das war Denton Abagnall«, sagte ich. »Die Beschreibung passt genau.«
»Ach ja? Und woher kennen Sie ihn?«
»Cynthia und ich haben ihn beauftragt, Nachforschungen anzustellen.«
»Über mich?«
»Nein. Nicht direkt jedenfalls. Er sollte herausfinden, was mit Cynthias Familie passiert ist.«
»Und deshalb hat er ausgerechnet hinter mir hergeschnüffelt?«
Ich schluckte. »Zumindest wollte er Sie unter die Lupe nehmen.«
»Ach ja? Und was hat er herausbekommen?«
»Nichts«, sagte ich. »Na ja, wir wissen es nicht. Und wir werden es wohl auch nie erfahren.«
»Wieso?«
Entweder wusste er es wirklich nicht oder er hatte ein verdammt gutes Pokerface.
»Er ist tot«, sagte ich. »Er wurde ebenfalls ermordet. In einer Parkgarage in Stamford. Vermutlich steht sein Tod in Zusammenhang mit dem Mord an Tess.«
»Außerdem war da noch eine von der Bullerei, die nach mir rumgefragt hat. Eine Schwarze, klein und fett, wie ich gehört habe.«
»Detective Wedmore«, sagte ich. »Sie leitet die polizeilichen Ermittlungen.«
»Na schön«, sagte Vince Fleming, ließ mein Handgelenk los und zog das Messer aus der Tischplatte. »Und was geht mich der ganze Scheiß an?«
»Meine Frau hat Sie also nicht kontaktiert«, sagte ich. »Oder etwa doch?«
»Nein.« Dabei sah er mir herausfordernd in die Augen, als warte er nur auf Widerspruch.
Ich hielt seinem Blick stand. »Ich hoffe, Sie sagen die Wahrheit, Mr Fleming. Weil ich nämlich nicht zulassen werde, dass meiner Frau und meiner Tochter etwas zustößt.«
Er erhob sich und kam um den Tisch herum. »Soll das ’ne Drohung sein?«
»Ich habe vielleicht nicht so viel Einfluss wie Sie, aber wenn es um meine Familie geht, werde ich mich von nichts und niemandem einschüchtern lassen.«
Er packte mich an den Haaren, riss meinen Kopf zurück und beugte sich zu mir. Sein Atem roch nach Würstchen und Ketchup.
»Hör mir gut zu, Arschloch. Ist dir eigentlich klar, mit wem du hier redest? Meine Jungs da draußen – hast du ’ne Ahnung, wozu die fähig sind? Die verfüttern dich in der Bucht an die Fische, wenn ich nur mit dem Finger …«
Draußen rief einer seiner Schläger: »He, da kannst du nicht rein.«
Dann ertönte eine Frauenstimme: »Fick dich ins Knie.« Ich hörte, wie jemand die Treppe heraufkam.
Da Vince Flemings Kopf mir die Sicht versperrte, hörte ich nur, wie die Tür geöffnet wurde und eine mir vage bekannte Stimme sagte: »He, Vince, hast du Mom gesehen? Ich muss nämlich noch …«
Sie verstummte, da sie offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, dass Vince gerade jemanden in der Mangel hatte.
»Du siehst doch, ich hab zu tun«, erwiderte er.»Woher soll ich wissen, wo deine Mom ist? Wahrscheinlich ist sie zum Einkaufen gefahren.«
»Oh, Scheiße«, sagte die Frauenstimme. »Vince, was machst du denn da mit meinem Lehrer?«
Und als ich, Vince Flemings feiste Finger im Haar, den Kopf ein, zwei Zentimeter drehte, starrte ich in das verblüffte Gesicht von Jane Scavullo.
VIERUNDDREISSIG
»Deinem Lehrer?«, sagte Vince, ohne meine Haare loszulassen. »Was für ein Lehrer soll das denn sein?«
»Mein Englischlehrer«, sagte Jane. »Der mit dem Schreibkurs. He, wenn du meine Lehrer verprügeln willst, kann ich
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