Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
etwa Sinatras »My Way«, sondern Na Hoo-nas »Ga-Seum Apu-gae (Herzschmerz)«, ein melodramatisches koreanisches Volkslied.
Nach dem Großen Zapfenstreich im Kreise der Vertrauten wurde der Miettransporter für den Umzug nach Berlin gepackt. Sogar unsere Collie-Hündin Ära packte mit an. Wir erreichten Friedrichshain in Berlin an einem regnerischen Spätnachmittag, und auf der Straße nach Osten ergab der Vers »I have been looking for freedom since I left my hometown« endlich einen Sinn.
FRIEDRICHSHAINER, GOTT IST EIN DJ UND DIE WELTKULTUR
D ie besten Dinge im Leben sind nicht über Online-Banking zu ergattern, bei Ebay zu ersteigern oder durch Null-Prozent-Finanzierungen zu erwerben. Für lausige 50 Euro konnte ich mir in einem völlig heruntergekommenen Bürgeramt an der Yorckstraße die Identität eines Friedrichshainers verpassen lassen. Um sich von Prinz Frederic von Anhalt adoptieren zu lassen, muss man dagegen eine bis zu sechsstellige Summe bezahlen. Ob man sich den Prinzen als Adoptivvater wünscht, sei dahingestellt. Einen Mehrwert hat es nicht wirklich. Dagegen erscheint die Gelegenheit, ein Friedrichshainer zu werden, wie ein Geschenk des Himmels.
Mutter sagte mir einmal, dass sich das Leben innerhalb von Sekunden verändern könne. Meine dramatische Wendung im Leben ereignete sich am 26. September 2008 und erforderte nicht Sekunden, sondern einige Minuten. Eines habe ich in Deutschland gelernt: Das Leben als Migrant ändert sich nie in Sekunden. Allenfalls in mühsamen Stunden, in denen die Geduld auf die Probe gestellt wird – wenn man vorher auch nicht vergessen hat, eine Nummer zu ziehen.
Mit routinierten und geschickten Handbewegungen der Angestellten vom Bürgeramt wurde das Ende meiner Samt- und Seidenstadt-Vergangenheit besiegelt und ein neues Kapitel in meinem Leben aufgeschlagen. Nun war ich ein Ostberliner. Schon Theodor Fontane sagte einst: »Vor Gott sind alle Menschen Berliner.« Ich war nun im Klub, und im Fall der Fälle, dass ich Berlin nicht überlebte, könnte ich mich vor Gott zumindest als Berliner ausweisen – in der Hoffnung, dass er nicht zwischen Ost- und Westberliner unterscheiden würde.
Ich wollte immer schon nach Berlin, aber nie in den östlichen Teil. Doch der Osten zieht nun mal den Fernen Osten wie ein Magnet an. Zu viel hatte ich von auf der Lauer liegenden kahlgeschorenen Ostdeutschen gehört, die wie vom Teufel besessen Ausländer durch die Straßen jagen. Damals waren ihnen nämlich die Ausländer systematisch vom Staat vorenthalten worden. Nun hatte man Nachholbedarf und wollte den Ausländern mit 20 Jahren angestauter Nächstenliebe viel Freude bereiten. Dabei stellen sie sich oft sehr plump an, zünden gelegentlich Wohnhäuser an, marschieren verirrt mit ihren leeren Seelen, hoffnungslos durch die Straßen – und alles nur, weil sie uns lieben. Und eigentlich müssten sie es doch besser wissen, dass Liebe nicht erzwingbar und erst recht nicht käuflich ist.
Die Berliner sind mir ein sympathisches Volk. Nicht nur, weil sie dasselbe Schicksal verbindet wie das Land meiner Eltern. Aus Solidarität habe ich mir zwei T-Shirts bedrucken lassen. Eins trägt die Aufschrift »Kommste ooch ausm Osten?« und das andere »Ich bin stolz, ein Ossi zu sein!«. Doch bislang konnte ich damit nur bei meinem vietnamesischen Änderungsschneider Hoang punkten, einem wahren Ossi, der mir auf jegliche Ärmel- und Hosenkürzungen satte Rabatte gewährt.
Versunken in einen Ozean voller Gedanken brachten mich die » Dit war es !«-Worte der Angestellten in das Hier und Jetzt zurück. So lautlos wie möglich stand ich auf, nahm den Personalausweis vom Tisch, verabschiedete mich und ging in meine neue Heimat. Nur um sofort von einem Linksautonomen oder autonomen Nationalisten angerempelt zu werden. Früher war alles besser, dachte ich mir, da konnte man anhand des Aussehens unterscheiden, wer zu wem gehört. Die Nazis trugen Bomberjacke, Glatze und Springerstiefel und die Linken PLO-Tuch, schwarze Kleidung und lange Haare. Heute sind sie kaum noch auseinanderzuhalten. Die Linken können die Rechten sein und die Rechten die Linken. Jedenfalls streckte mir der Autonome den Mittelfinger entgegen. Es kam zum Effenberg-Duell. Ich gab ihm zu erkennen, dass ich einen längeren Mittelfinger habe. Mit hängendem Kopf zog er von dannen. Nachdem er mir den Rücken zugekehrt hatte, fiel mir der Riesenaufnäher auf seiner Jacke auf mit der Kiez-Weisheit: »Keiner ist gemeiner wie ein
Weitere Kostenlose Bücher