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Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)

Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)

Titel: Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Hyun
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fügte er hinzu.
    Ich fragte mich, ob dieses Deutschland jemals mein Zuhause werden würde. Fürs Erste hatte die Zigarettenerfahrung in Friedrichshain mein ABC des Migrantendaseins um eine Lektion erweitert. Als Asiate bzw. Deutsch-Koreaner in Berlin ist man gut beraten, an S- oder U-Bahn-Haltestellen nicht an einem Fleck stehen zu bleiben, sondern immer in Bewegung zu sein. Das ist auch der Grund dafür, warum es in Berlin kaum übergewichtige Asiaten gibt. Das Leben in Berlin ist Diät genug.
    Bei meiner letzten U-Bahn-Fahrt entdeckte ich eine Werbung von einem vertrauenswürdig aussehenden Rechtsanwalt. Auf dem Werbeplakat stand: »Wer Sorgen mit seinem Aufenthalt in Deutschland hat, findet seit 30 Jahren Hilfe durch Rechtsanwalt Hans-Georg Noether«. Ich bin so ein Fall, dachte ich mir. So langsam mache ich mir Sorgen um meinen Aufenthalt in Deutschland. Die Tage will ich ihn mal anrufen.
    Trotz dieser Vorkommnisse liebe ich diese Stadt mit ihren weltbesten Fahrraddieben. Berlin ist groß, Berlin ist mächtig, Berlin hat einen Fernsehturm von 368 Metern Höhe. Es ist der Big Apple Deutschlands, die Schule der Hard-Knocks, zumindest was die Philosophie der Straße anbelangt. Es sind nicht die Einbürgerungsurkunden aus den Händen der Bundeskanzlerin oder das Bestehen von Einbürgerungstests, die dich als Migrant reif für die deutsche Gesellschaft machen. Der letzte Schliff, die Reifeprüfung für ein Leben in Deutschland, wird Migranten auf den Straßen Berlins verpasst. Denn wenn du es als Migrant in Berlin, Berlin schaffst, diesen Sticheleien standzuhalten, dann schaffst du es überall in Deutschland.

ABENTEUER IM BUNDESTAG
    A ls ich mit meiner niederrheinischen Frohnatur den Flur des Europa-Ausschusssekretariates im Bundestag passieren wollte, rief die am Ende des Flurs stehende Verwaltungsdame schroff, in gebieterischer Art: »Bleiben Sie stehen! Sie haben den Alarm ausgelöst!«
    »Meinen Sie etwa mich?«, wandte ich ein.
    »Warten Sie, bis die Polizei kommt! Sie haben den Alarm ausgelöst!«, wiederholte sie in einem noch schärferen Befehlston. Mit vor der Brust verschränkten Armen rückte sie mir unangenehm nah und stellte sich mir in den Weg. Anhand ihrer Frisur und ihres Kleidungsstils wusste ich sofort, mit wem ich es zu tun hatte. Gerade der Haarschnitt, der die Wende überlebt hatte, entlarvte sie als ehemalige Bürgerin der Deutschen Demokratischen Republik.
    Die Frau starrte mich schon aus weiter Entfernung an, wie man sonst nur Ausländer in Mecklenburg-Vorpommern begafft. Oder bayerische Touristengruppen in Neukölln, die sich in dem Kiez verirrt haben. Dabei prallen zwei Welten aufeinander, aber mit Gewinn für beide Seiten. Die bayerischen Touristen kriegen einen exklusiven Einblick in die mögliche multikulturelle Zukunft ihres Freistaates geboten, und die gastfreundlichen Neuköllner müssen keine Weltreise machen, um Merk- und Sehenswürdigkeiten zu bestaunen. Auch Asiaten in Deutschland sind solch wandelnde Attraktionen, ein Fetisch für Einheimische, dem man eine gewisse Spanne von Zeit widmet. Das Angestarrtwerden gehört zum Leben eines Asiaten in Deutschland dazu wie das Amen in der Kirche. Doch die Genossin übertraf alles, was ich bisher an Glotzerei erlebt hatte. In solchen Momenten verschlägt mir so viel Schroffheit immer erst mal die Sprache. Zunächst konnte ich mit den Worten der Dame auch gar nichts anfangen. Bis ich schließlich kapierte, dass sie der Auffassung war, ich hätte mich durch die winzige, zehn Zentimeter enge Fensterluke am Außenfenster des Bundestagsgebäudes gezwängt und mir, vorbei an hochsensiblen Sicherheitsschleusen, Kameras, Polizei und dem Sicherheitspersonal des Besucherdienstes, unerlaubt Zutritt in den Bundestag verschafft. So hinterlistig, wie sich die Chinesen in die Computer von Regierungsinstituten hacken. Doch bei aller Liebe, sogar der beste Ninja, Zen-Meister oder Martial-Arts-Kämpfer dieser Welt hätte beim Anblick dieser zierlichen Fensterluke das Handtuch geschmissen.
    Doch ich kann es der Frau nicht verübeln. Früher oder später musste es so kommen, dass mir Gott meine alten Universitätssünden in Rechnung stellte. Während meiner Unizeit führten wir in unserer Wohngemeinschaft aus Langeweile kuriose Tests durch, mit denen wir in der Fernsehsendung »Ripley’s unglaubliche Welt« hätten auftreten können. Mein japanischer Freund Taka diente uns mit seiner Körpergröße von 1,50 Meter oft als Versuchsperson. Taka sollte

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