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Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)

Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)

Titel: Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Hyun
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wurde ein Geschäft für finnische und amerikanische Mobilfunkprodukte. An der Boxhagener Straße betreibt ein einheimischer Deutscher einen Imbiss namens »Vöner«, in dem er vegetarische Döner verkauft. Den Namen will er markenrechtlich vor Raubzügen schützen lassen, versicherte mir der Imbissbetreiber. »Mit Kartoffelspeisen außer Pommes lässt sich kaum noch Geld machen«, erklärte er mir und behauptete, die Zukunft gehöre dem Ethno-Marketing.
    In Marzahn habe ich vereinzelt Russen entdeckt, die wohl von der Finanzkrise betroffen sind und sich nun als Kebab-Verkäufer versuchen. Der Döner soll nun den Rubel rollen. An der Warschauer Straße, unmittelbar neben der Jugendherberge, hat der türkische Besitzer seinen Spätkauf zu einem Dis-kiosk umfunktioniert, einem Kiosk mit Diskoatmosphäre. Aus seinem Dis-kiosk dröhnen keine Musik von Ata Canani oder anatolischer Rock, sondern die europäischen Top 20 der Charthits. Er habe sich den Gegebenheiten des Kiezes angepasst. »So viel zum Thema Integration«, sagte der Verkäufer.
    Meine türkischen Brüder haben wahrlich einen siebten Sinn für Überlebenskreativität. Zwar beglückt der türkische Bob Dylan, dem die Musik wahrhaftig nicht in die Wiege gelegt wurde, die Fahrgäste der U1 immer noch mit seinen Spontanauftritten. Allerdings hat sich sein Sinn für Rhythmik und Harmonie um einiges verbessert. Ein paar Töne verfehlt er mal hier und dort. Doch im Groben ist seine Leistung erträglich für die Ohren. Er ist der beste Beweis dafür, dass keiner als Mozart auf die Welt kommt, dass man seine Träume nie aufgeben sollte und nur Übung den Meister macht. An der Krossener Straße stellen Türken die besten Hamburger im Kiez her. Meine Begegnung mit dem Besitzer habe ich noch in guter Erinnerung. Als ich meinen leeren Teller auf den Tresen stellte, um zu bezahlen, kam der erschöpft aussehende Besitzer, mit der Zunge schnalzend, seine Hose richtend, aus der Küche und fragte mich, ob mir seine Spezialsoße geschmeckt habe, die er mit viel Liebe frisch zubereitet habe. Dabei überkam mich ein unbehagliches Gefühl. Ich wollte dem Besitzer nichts unterstellen, hätte aber doch gerne einen Blick in die Küche geworfen und gesehen, wie er die Soße produziert. In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung.
    Die Debatte um Sarrazin und die Unterstellung, dass die Araber und Türken die einheimischen Deutschen verdummen ließen, haben tiefe Spuren hinterlassen. Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie kurz vor Schulbeginn arabisch- und türkischstämmige Mütter in Wedding sämtliche Lebensmitteldiscounterregale mit Produkten von Dextro Energy palettenweise aufkauften. Sie haben wohl Wind davon bekommen, dass die Dextrose zur besseren Konzentrations- und Leistungsfähigkeit in der Schule verhilft. Ihre Kinder sollen mit legalen Dopingmitteln zu Strebern und Intelligenzbestien mutieren. Am Hermannplatz sah ich tatsächlich einen türkischen Jungen, der ein T-Shirt trug mit dem Aufdruck: »I am Mutant«. Ich beobachtete ihn dabei, wie er virtuos mit seiner Nintendo Spielkonsole Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging – Wie fit ist Ihr Gehirn? spielte. Man konnte ihm ansehen, dass er vollgepumpt war mit Dextro Energy. An seiner Nase war noch eine kleine Gebrauchsspur vom weißen Traubenpuder zu erkennen.
    Am Kottbusser Tor beobachtete ich, wie junge türkische Mädchen mit MP3-Playern anstelle von Bushido oder Sido Mozarts »Eine kleine Nachtmusik« mitsummten. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass klassische Musik die Intelligenz erhöht. Ich mache mir keine Sorgen mehr, was die nächste PISA-Studie anbelangt. Bald wird Deutschland wieder zum Land der Dichter und Denker werden.

DIASPORA LIEBESTRAUM
    W enn meine Bekannte Renate aus Kreuzberg neue Mitarbeiter für ihren Betrieb anheuert, stellt sie ihnen beim Bewerbungsgespräch grundsätzlich die Suchtfrage. Diese Frage sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, um spätere Überraschungen zu vermeiden. Schließlich könne man einen alkoholsüchtigen Mitarbeiter nicht für eine Veranstaltung einteilen, bei der Alkohol ausgeschenkt werde.
    Renate ist für mich so etwas wie die Mutter Teresa aus Kreuzberg. Sie würde Drogen-, Spiel- und Alkoholsüchtigen eine zweite Chance im Leben geben, wenn andere schon längst die Flinte ins Korn geworfen hätten. Renate fordert keinen imponierenden Lebenslauf und mehrjährige Berufserfahrung. Das Einzige, was Renate von einem Mitarbeiter verlangt, ist Ehrlichkeit. In einem ihrer letzten

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