Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
verabschiedete mich, kaufte mir in einem Souvenirshop an der Friedrichstraße einen Ansteckbutton mit der Aufschrift »Not a tourist«, heftete ihn mir an – und sah sie nie wieder.
Während einer Veranstaltung zum Thema Sport und Integration erzählte der Bundestagsabgeordnete Riegert, dass er seinen eigenen Vorurteilen fast selbst zum Opfer gefallen war. Kurz vor den Bundestagswahlen verteilte er Informationsblätter am Hauptbahnhof seines Wahlkreises in Göppingen. Als ein Asiate auf ihn zukam, überlegte er, ob er ihm ein Blatt in die Hand drücken sollte oder nicht. Schließlich überwand er sich, dem Asiaten eines zu geben, der sich prompt auf Schwäbisch bei ihm bedankte und ihn sogar beim Namen nannte.
Auch ich muss gestehen, dass ich mich, ähnlich wie der Bundestagsabgeordnete Riegert, allein von der Optik hinters Licht führen ließ. Wenn ich mich in den riesigen Straßen Berlins verlief, hatte ich die Angewohnheit, immer zuerst die einheimisch aussehenden Menschen nach dem Weg zu fragen. Bis mir einmal die Verkäuferin vom Schlecker an der Marienburgerstraße im Prenzlauer Berg den Tipp gab, die eigenen Landsmänner zu fragen, denn die lebten schließlich schon länger hier als so manch zugezogener einheimischer Deutscher. Mit Landsleuten meinte die Verkäuferin natürlich die Vietnamesen, und die können mir tatsächlich meist den richtigen Weg weisen, als hätten sie nie woanders gelebt.
LES TEMPS CHANGENT
D ie Zeiten ändern sich oder dich. MC Solaar prophezeite es, die Spatzen pfiffen es von den Dächern, Bushido verfilmte es, Bob Dylan predigte es: »The slow one now, will later be fast, as the present now, will later be past.«
Der 4. November 2008 ist ein Feiertag. Ein historischer Tag, ein prägender Moment, der die Welt bewegte. Mein in Aachen lebender kamerunischer Bruder Alexis schrieb mir in einer SMS: »Mon frère! Bist du auch auf heute gespannt? Ich warte ungeduldig auf die Ergebnisse. Er wird ein Zeichen setzen, wenn er es schafft!«
»Er«, damit meinte Alexis keinen Geringeren als den Autor des Buches »Hoffnung wagen«, Barack Obama.
»Ich habe mir genug Koffein verabreicht und bin für eine Nachtschicht gerüstet!«, schrieb ich ihm zurück. Gespannt saß ich nur einen halben Meter von meinem Fernseher entfernt, um nichts zu verpassen. Auf CNN verfolgte ich erwartungsvoll den Ausgang der 44. Amerikanischen Präsidentschaftswahl. Nicht einmal mein Lieblingsgericht Jajangmyeon hätte mich vom Bildschirm wegbewegen können.
Und dann ging alles ganz schnell. Zumindest am Anfang: Um vier Uhr in der Früh steht fest, dass Obama die Staaten Pennsylvania und Ohio für sich beanspruchen kann. Nur fünf Minuten später verteilen sich auf Obama 207 Wahlmännerstimmen und auf McCain 127. Weitere fünf Minuten vergehen, bis CNN verkünden lässt, wegen des geringen Abstands könne eine Prognose nicht erstellt werden. Fünfzehn Minuten verrinnen, bis McCain als Sieger über den Staat Texas feststeht und damit seine Wahlmännerstimmen auf weitere 34 ausbauen kann. Um 4:33 Uhr berichtet CNN, dass Obama mit 50 Prozent der Wahlmännerstimmen knapp vor McCain liegt, der auf nur 49 Prozent kommt.
Während die muntere Berichterstattung weitergeht, stelle ich mir die Frage, ob die Menschen nach 220 Jahren amerikanischer Geschichte, die von 43 weißen Präsidenten geprägt wurde, bereit sind für einen Neuanfang. Ich erinnere mich an das Gespräch mit Alisa, einer Afroamerikanerin, die im nordrhein-westfälischen Integrationsministerium arbeitet. Wir redeten über Obama, zu einer Zeit, zu der Obama noch nicht als Präsidentschaftskandidat vorgesehen war. Alisa war bezüglich der Präsidentschaftskandidatur pessimistisch. Ich dagegen war voller Optimismus, dass Obama aufgestellt werden würde. Damit würde Obama die erste große Hürde nehmen. Danach sei alles möglich, sagte ich zu Alisa und konnte meine positive Haltung nicht näher begründen als damit, dass die Zeit gekommen sei.
Um 4:59 Uhr mitteleuropäischer Zeit verkündet CNN das Endergebnis. Obama ist nun für McCain uneinholbar. Für einen Sieg benötigt Obama mindestens 270 Wahlmännerstimmen, und mit 364 holt er 94 mehr, als erforderlich ist. McCain kommt nur auf 173 Stimmen. Um 5:07 Uhr gratuliert McCain Obama zum Sieg und gesteht damit seine Niederlage ein.
Es dauerte nicht lange, bis Alexis mich anrief. »Mon frère!«, sprach Alexis aufgeregt in den Hörer, »Obama hat nicht nur den Schwarzen in Amerika Hoffnung gemacht, sondern
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