Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
allen Minderheiten auf dieser Welt. Unser Moment ist gekommen! Unsere Zeit ist jetzt! Les temps changent!«
»Ich freue mich auch, Alexis! Heute ist ein historischer Tag! Und du hast recht! Les temps changent!«, antwortete ich.
An jenem Novembermorgen, da bin ich mir sicher, gingen nicht nur Alexis und ich mit einem breiten Grinsen in den wohlverdienten Schlaf, mit dem Wissen, dass der nächste Morgen und der Morgen danach ganz andere werden würden.
So kam es dann auch. Plötzlich sah ich schwarze Mütter und Väter mit einem energisch-stolzen Gang und zielgerichtetem Blick, wie sie ihre Kinder fest an der Hand hastig in Richtung Schule marschierten. Dabei beobachtete ich, wie sich ein Kind zierte und sich vom Vater losreißen wollte. Da sagte der Vater: »Mein Junge! Du hast jetzt keine Entschuldigungen mehr für schlechte Noten und faule Ausreden. Barack Obama hat Jura studiert, war Sozialarbeiter, war Bürgerrechtler, und jetzt ist er der erste schwarze Präsident Amerikas!«
»Aber Papa!«, antwortete der kleine Junge.
»Aber was!«, entgegnete der Vater.
Der Junge nahm die Hand des Vaters, senkte den Blick zu Boden und fügte sich seinem Schicksal.
Irgendwie kam mir das alles bekannt vor.
In dem Moment dachte ich auch an meinen Bekannten Christian aus Kamerun, der in einem Kiosk in Friedrichshain bei mir um die Ecke jobbt und schon seit Jahren auf der Suche nach einer festen Stelle ist, die seine Familie ernähren kann. Für eine Stelle bei der Gepäckabfertigung am Flughafen Tegel, wo er gerne arbeiten möchte, habe ich Christian bei der Bewerbung geholfen. Wir haben versucht, die Unterstützung seines Bundestagsabgeordneten zu bekommen. Doch der Abgeordnete blockte ab. Kurze Zeit später kam auch das Absageschreiben vom Flughafen Tegel. Trotz aller Niederlagen geht Christian nicht gebückt durchs Leben. Wenn wir uns sehen, ist er derjenige, der Hoffnung ausstrahlt, und das fasst er in Worte, indem er sagt: »Martin! Les temps changent comme la météo!«
KARAOKE UND SESAMSTRASSE
A ls ich 10 Jahre alt war, feierte Deutschland seine Wiedervereinigung und wir zogen von der Innenstadt in ein kleines Reihenhaus in einem idyllischen Vorort von Krefeld. Meine Schwester Julia und meine Mutter, die akribisch den Finanzierungsplan des Hauses erarbeiteten, machten die Phase II unseres Migrantenlebens möglich. Kurze Zeit später wurden viele unserer koreanischen Bekannten stolze Hauseigentümer. Mein Freund Seung-won zog von der kleinen Stadtwohnung an der Petersstraße in ein Haus nur eine K-Bahn-Haltestelle entfernt von uns. Auch Min-siks Eltern kauften sich in Moers-Repellen ein Haus.
Koreaner haben es etwas leichter beim Kauf eines Hauses, da sie positiv diskriminiert werden, ganz im Gegenteil zu meinen türkischen Freunden. Die Immobilienmakler sind gefangen in ihren Klischees. Mit Koreanern verbinden sie Harmonie und ruhige Nachbarn. Aber die Makler haben die Rechnung nicht mit der Erfindung der Karaokemaschine gemacht. Bei seinem letzten Koreabesuch hatte Vater sich eine Karaokemaschine zugelegt. Mithilfe des Geräts beglückte Vater fast täglich die Nachbarschaft mit dem Singen alter koreanischer Volkslieder, mindestens so oft, wie ein Muezzin vom Minarett zum Gebet aufruft. Die Nachbarn nahmen es uns nicht übel. An unserer Tür klopfte nie die Polizei wegen Lärmbelästigung, und wenn, dann hätten sie womöglich mitsingen müssen. Wenn wir deutsche Gäste zu Besuch hatten, war Vater immer darauf bedacht, ihnen die koreanische Karaokekultur nahezubringen. Unseren deutschen Gästen war dies sichtlich unangenehm. Sie wollten ihre Gesangskünste nicht vor den Augen Vaters unter Beweis stellen, der mit Kritik nicht gerade zimperlich umging, fast wie Dieter Bohlen. Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, warum Freundschaften mit einheimischen Deutschen nicht lange hielten.
Unsere Karaokemaschine muss zu einer Zeit gebaut worden sein, als die Ressentiments gegenüber den Amerikanern ihren Zenit erreichten. Denn egal, wie gut man einen amerikanischen Popsong auch sang, gab es bei der Punktevergabe von maximal 100 Punkten immer eine Punktzahl unter 50. Und egal wie schlecht man ein koreanisches Lied sang, gab es grundsätzlich 90 oder 100 Punkte. Mein Verdacht fiel auf nordkoreanische Geheimagenten, die unauffällig technische Teile eingebaut hatten, die die diskriminierende Punktevergabe regulierten. Mein Freund Sebastian erzählte, als wir uns nach fast 15 Jahren wieder trafen, noch immer
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