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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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gelben Osterglockenhandtasche an der Tür, als er nach unten kam.
    «Erinnerst du dich an die Reporter?», fragte er, «die Leute mit den Kameras und Mikrophonen auf der anderen Straßenseite?»
    Ree nickte stumm.
    «Tja, sie sind immer noch da, Schatz. Wenn wir jetzt die Tür öffnen, werden sie uns wahrscheinlich jede Menge Fragen an den Kopf werfen und Fotos schießen. Sie machen ihren Job, das ist alles. Sie werden sich wie verrückt aufführen. Wir aber gehen ganz ruhig zum Auto und fahren in den Supermarkt, okay?»
    «Okay, Daddy. Ich hab sie schon gesehen, als ich nach oben gegangen bin. Darum habe ich mir auch meine Feenflügel angezogen. Wenn sie mich anbrüllen, fliege ich einfach über sie hinweg.»
    «Was bist du doch für ein schlaues Mädchen!», stellte er fest und öffnete die Tür. Jetzt oder nie, dachte er.
    Kaum zeigte sich seine Schuhspitze auf der Schwelle, ging die Schreierei los.
    «Jason, Jason, gibt’s Neues von Sandy?»
    «Wird die Polizei Sie heute vernehmen?»
    «Wann können wir mit einer offiziellen Pressemitteilung rechnen?»
    Er führte Ree nach draußen, zog die Tür hinter sich zu und schloss ab. Seine Hände zitterten. Er versuchte, sich zu fassen und Haltung zu bewahren. Nur nicht hasten. Der trauernde Ehemann ging mit seiner kleinen Tochter das Nötigste einkaufen. Brot und Milch.
    «Werden Sie sich an den Suchaktionen beteiligen, Jason? Wie viele Freiwillige haben sich gefunden?»
    «Hübsche Flügelchen, Kleines! Bist du ein Engel?»
    Jason blickte wütend auf. Er ließ es sich gefallen, dass sich diese Aasgeier auf ihn stürzten, aber wehe, sie behelligten seine Tochter   …
    «Daddy?», flüsterte Ree und blickte verängstigt zu ihm auf.
    «Wir steigen jetzt ins Auto und fahren einkaufen», beruhigte er sie. «Es ist alles in Ordnung, Ree. Nicht wir sind ungezogen, sondern die Leute da draußen.»
    Sie ergriff seine Hand und schmiegte sich eng an ihn, als sie die Verandastufen hinuntergingen und über den Rasen auf die Einfahrt zusteuerten, wo das Auto parkte. Er zählte nach: Waren es gestern erst vier Übertragungswagen gewesen, standen heute bereits sechs in der Straße. Von weitem konnte er nicht erkennen, zu welchen Sendern sie gehörten. Doch das würde er wohl erfahren, sobald er den Fernseher einschaltete.
    «Was ist mit Ihrem Gesicht passiert, Jason?»
    «Verdanken Sie der Polizei das blaue Auge?»
    «Haben Sie sich geprügelt?»
    Ruhig und mit gleichmäßigen Schritten führte er Reeauf den Volvo zu. Er holte den Schlüssel aus der Tasche. Die Zentralverriegelung klickte.
    Brutales Vorgehen der Polizei, dachte er, als weitere Fragen zu seinem Gesicht gestellt wurden und ihm beim Öffnen der Tür die Rippen wieder höllisch wehtaten.
    Er schnallte Ree in ihrer Sitzschale fest, schlug die Hecktür zu und setzte sich hinters Steuer. Als er auch seine Tür zugezogen und den Motor gestartet hatte, war von den Rufen der Reporter nichts mehr zu hören.
    «Gut gemacht», lobte er Ree.
    «Ich kann Reporter nicht leiden», meinte sie.
    «Das verstehe ich. Vielleicht sollte ich mir auch ein paar Feenflügel zulegen.»
     
    Er war mit den Nerven am Ende und brachte nicht die erzieherische Strenge auf, seiner Tochter Oreos, Milchschnitten und ofenfrische Schokoladenkekse zu verweigern. Ree hatte seine Schwäche früh erkannt, und am Ende ihres Rundgangs durch die Regalreihen war der Einkaufswagen voller Süßigkeiten und Fertiggerichte. Immerhin hatte er es geschafft, an Milch, Brot und Früchte zu denken.
    Er ließ sich viel Zeit und war verzweifelt darauf aus, wieder ein wenig Normalität in sein und Rees Leben einkehren zu lassen. Sandy war verschwunden. Stattdessen drängte sich Max auf. Die Polizei würde ihm weitere Fragen stellen, und er machte sich größte Vorwürfe, den Familiencomputer benutzt zu haben.
    Jason wollte ein solches Leben nicht. Er wünschte, die Uhr um sechzig, siebzig Stunden zurückdrehen zu können,unausgesprochen sein zu lassen, was er nie hätte sagen dürfen, ungeschehen machen zu können, was er nie hätte tun dürfen. Ach, könnte er doch auch den Urlaub im Februar rückgängig machen   …
    Die Frau an der Kasse lächelte über Rees schrille Aufmachung und erschrak, als sie ihn sah. Er zuckte befangen mit den Achseln und folgte ihrem Blick auf die Zeitschriftenauslage, in der sich unter anderem eine aktuelle Ausgabe der
Boston Daily
befand – mit einem Schwarzweißfoto von ihm auf der Titelseite. Die Schlagzeile lautete: «Was verschweigt

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