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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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ihm auf, gähnte und räkelte sich. Ree starrte ihn wortlos an.
    Er nahm auf der Bettkante Platz und strich ihr die dunklen Locken aus der feuchten Stirn.
    «Ich will Mommy», sagte sie mit dünner Stimme.
    «Ich weiß.»
    «Sie hat versprochen, mich nicht alleinzulassen.»
    «Ich weiß.»
    «Warum kommt sie nicht nach Hause, Daddy? Warum nicht?»
    Er hatte keine Antwort darauf. Er legte sich zu ihr, nahm sie in den Arm und streichelte ihr übers Haar. Schluchzend drückte sie ihr Gesicht an seine Schulter. Er nahm den vertrauten Duft der Kinderseife wahr, mit der sie sich wusch, spürte ihren Kopf an seiner Brust und hörte ihr müdes kleines Schluchzen.
    Ree weinte, bis sie nicht mehr weinen konnte. Dann legte sie ihre Hand auf seine und verschränkte ihre kleinen Finger mit seinen großen.
    «Wir stehen das gemeinsam durch», flüsterte er ihr zu.
    Sie nickte matt.
    «Wollen wir gleich frühstücken?»
    Sie nickte wieder.
    «Ich liebe dich, Ree.»
     
    Zum Frühstück fehlten die Eier. Es war auch kein Brot mehr da und von der Milch nur noch ein Rest, gerade genug für zwei kleine Schalen Müsli. Die Schachtel Cheerios war verdächtig leicht, also mussten sie mit Rice Crispiesvorliebnehmen. Ree mochte die «sprechenden» Flocken, und er gab sich immer redlich Mühe, den knuspernden Lauten einen Sinn zu entnehmen.
    «Was, du willst ein Pony haben? Ach nein, jetzt verstehe ich, du willst, dass ich mir selbst eine Corvette kaufe. Hätte ich auch gleich draufkommen können.»
    Er entlockte ihr ein Lächeln. Dann kicherte sie sogar, und beide fühlten sich ein bisschen wohler.
    Ree aß ihre Schale nur zur Hälfte leer und ließ den restlichen Puffreis auf der Milch schwimmen. Sie schien Gefallen daran zu finden, und so hatte er ein wenig Zeit zum Nachdenken.
    Er hatte Schmerzen. Jede Bewegung tat ihm weh, und er fragte sich, wie wohl die anderen Typen aussehen mochten. Wahrscheinlich weniger schlimm, denn sie waren von hinten über ihn hergefallen; er hatte sie gar nicht kommen sehen.
    Muss wohl am Alter liegen, dachte er. Zuerst hatte ihn ein Dreizehnjähriger fertiggemacht und dann das. Wehrhaftigkeit war etwas anderes. O Mann, im Gefängnis würde er keine Woche überleben. Ein schönes Motto für den anstehenden Tag.
    «Daddy, was ist eigentlich mit deinem Gesicht passiert?», fragte Ree, als er aufstand, um das Geschirr wegzuräumen.
    «Ich bin gestürzt.»
    «Autsch.»
    «Kein Scherz.» Er stellte das Geschirr in die Spüle und öffnete den Kühlschrank, um nachzusehen, was sie zu Mittag machen konnten. Milch hatten sie keine mehr.Es blieben sechs Dosen der von Sandy heißgeliebten Limonade Dr.   Pepper, vier Becher Magerjoghurt und ein paar welke Salatblätter. Noch ein schönes Motto für den Tag: Aktueller Buhmann Nummer eins zu sein bedeutete nicht zwangsläufig, aufs Essen verzichten zu müssen. Also würden er und Ree heute einkaufen gehen.
    Vielleicht sollte er sich einen Mullverband um den Kopf wickeln. Oder ein T-Shirt tragen, auf dem vorn das Wort «unschuldig» und hinten «schuldig» geschrieben stand. Wäre bestimmt lustig.
    «Ree?», fragte er und schloss den Kühlschrank. «Was hältst du davon, wenn wir groß einkaufen gehen?»
    Ree strahlte. Es war das exklusive Amt für Daddy und Tochter, mindestens einmal in der Woche mit der von Sandy hinterlegten Einkaufsliste loszuziehen, während sie noch in der Schule war. Ree würde nicht lockerlassen und ihn zu einem so dringenden Kauf wie dem einer Barbiepuppe samt Accessoires oder eines gezuckerten Doughnut zu überreden versuchen.
    Für gewöhnlich rasierte er sich zu solchen Anlässen, während Ree Wert darauf legte, mit Ballkleidchen und Strassdiadem aufzutreten. Es sprach schließlich nichts dagegen, aus einem Supermarktbesuch ein Ereignis zu machen.
    Ree eilte nach oben, um sich die Zähne zu putzen, und als sie wieder in der Küche war, trug sie ein blaues geblümtes Kleid mit buntschillernden Feenflügeln und paillettenbesetzte pinkfarbene Schuhe. Sie reichte ihm ein Haarband und verlangte, dass er ihr einen Pferdeschwanz machte. Er tat sein Bestes.
    Jason stellte eine Einkaufsliste zusammen und versuchte sich dann selbst ein wenig zurechtzumachen. Unter den wegrasierten Stoppeln trat ein hässlicher Bluterguss zum Vorschein, und die zurückgekämmten Haare brachten das blaue Auge noch mehr zur Geltung. Er sah zum Fürchten aus. Noch so ein heiterer Gedanke zur Einstimmung auf den Tag, der dritte schon.
    Ree wartete bereits ungeduldig mit ihrer

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