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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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wirklich.» Er fand keine Worte.
    Jason verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er spürte Beklommenheit und Verunsicherung im Rücken aufsteigen.
    «Darf ich etwas zu meiner Verteidigung anführen?», fragte der Richter.
    «Nur zu.»
    «Ich schwöre dir, Sohn, von solch schrecklichen Vorwürfen höre ich jetzt zum ersten Mal. Vielleicht haben sich zwischen Sandy und meiner armen Frau Dinge abgespielt, von denen ich wirklich keine Ahnung hatte. Aber um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass dem so war. Ich liebe meine Tochter, Jason. Ich gehöre allerdings auch zu den wenigen Männern, die ehrlichen Herzens von sich sagen können, ihre Frau aufrichtig geliebt zu haben. Ich war neunzehn, als ich Missy kennenlernte, und schon auf den ersten Blick entschlossen, sie zu meiner Frau zu machen. Nicht bloß, weil sie wunderschön, gutmütig und wohlerzogen war – ja, all das war sie auch   –, sondern weil sie einfach sie selbst war, und allein darum liebte ich sie.
    Du wendest jetzt vielleicht ein, dass das, was ich sage, mit uns nichts zu tun hat. Aber ich fürchte, das hat es sehr wohl. Spätestens mit zwölf entwickelte Sandy eine zunehmende Eifersucht auf Missy, weil ich ihr zu Füßen lag und sie mit Blumen und Geschenken überhäufte. Mädchen in diesem Alter sehen sich häufig in Konkurrenz zu ihren Müttern. Möglich, dass Sandy dachte, dass sie gegen ihre Mutter keine Chance hatte. Vielleicht hat sie das wütend gemacht und gegen ihre Mutter aufgebracht.
    Aber dann starb ihre Mama, bevor die beiden die Möglichkeit hatten, miteinander ins Reine zu kommen. Das war für Sandy schrecklich schwer. Mein süßes kleines Mädchen   … sie war plötzlich wie ausgewechselt, wurde wild und streunte in der Gegend umher. Sie tat, was sie wollte, und ließ sich nichts verbieten. Sie hat abgetrieben. Wusstest du das? Sie war schon vor Ree schwanger, vielleicht sogar mehr als einmal. Ich wette, davon hat sie dir nichts gesagt, oder? Auch ich sollte davon nichts wissen, aber in der Klinik war unser Name bekannt, und ich bin angerufen worden. Ich gab meine Erlaubnis. Wie hätte ich anders entscheiden können? Sie war ja doch selbst noch ein Kind, viel zu jung und instabil, um eine gute Mutter sein zu können. Ich habe für mein Mädchen gebetet, du ahnst nicht, wie sehr. Und dann bist du gekommen und hast sie mir weggenommen.»
    Der Richter seufzte. «Was ich dir sagen will, ist, dass ich immer gehofft habe, Sandy würde irgendwann zur Vernunft kommen. Und als ich heute Morgen mit dem Rektor gesprochen habe, sah ich diese Hoffnung endlich erfüllt. Was ich aber jetzt von dir hören muss   … Ich fürchte, Jason, meine Tochter hat ein ernstes Problem. Zuerst läuft sie mir davon und jetzt, wie es scheint, auch dir.»
    Jason wollte Einspruch erheben, bekam aber keinen Ton heraus. Seine Verunsicherung nahm zu und machte sich in der Magengegend bemerkbar. Was und wie viel wusste er tatsächlich über Sandy und ihre Familie? Er hatte ihr immer aufs Wort geglaubt. Welche Gründe sollte sie gehabt haben, ihn zu belügen?
    Andererseits, aus welchen Gründen hatte er sie belogen? Unzählige Male?
    «Wir sollten uns sehen, Jason», sagte Maxwell. «Sprechen wir miteinander, von Mann zu Mann. Ich habe wirklich nichts gegen dich, Sohn. Ich will einfach nur das Beste für meine Tochter und mein Enkelkind.»
    «Woran ist Missy gestorben?», fragte Jason unvermittelt.
    «Wie bitte?»
    «Deine Frau. Woran ist sie gestorben?»
    «Herzinfarkt», antwortete der Richter prompt. «Sie ist tot umgefallen. Dabei war sie noch so jung. Schreckliche Tragödie. Wir waren am Boden zerstört.»
    Jason hielt den Hörer fest umklammert. «Wo ist sie gestorben?»
    «Ähmmmm, zu Hause. Warum fragst du?»
    «War es in der Garage? Am Steuer ihres Wagens?»
    «Richtig, jetzt, wo du es sagst, fällt’s mir wieder ein. Du weißt es von Sandy?»
    «Bist du sicher, dass sie einen Herzinfarkt hatte?»
    «Absolut. Wie gesagt, es war schrecklich. Ich glaube, meine kleine Sandy ist nie darüber hinweggekommen.»
    «Ich habe den Autopsiebericht gelesen», entgegnete Jason. «Und wenn ich mich recht erinnere, wurde Mrs   Black mit kirschroter Gesichtsfarbe vorgefunden. Das ist ein klarer Hinweis auf eine Kohlenmonoxidvergiftung.»
    Wieder blieb es lange still in der Leitung. Jason fühlte, wie sich sein Magen beruhigte und die Schultern strafften. Sandy hatte recht – ihr Vater war ein sehr guter Lügner.
    «Ich weiß nicht, wovon du sprichst,

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