Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

als sie den Spiegel auf den Tisch legte, statt ihn wieder in die Tasche zu stecken, und damit zeigte, dass sie den Inhalt Stück für Stück durchgehen wollte. Das jagte mir Angst ein. Irgendwie hatte ich wohl gehofft, dass wir beide hier in diesem Zimmer eine einfache Lösung finden könnten, ohne Ärzte oder die Polizei – ein ruhiges Ende, eine sanfte Landung und eine behutsame Rückkehr in unser altes Leben. Aber meine Mum war so aufgewühlt, dass sie entweder sehr krank sein musste oder in Schweden etwas wirklich Schreckliches geschehen war, das sie in diesen Zustand versetzt hatte.
    Es hängt viel davon ab, dass du mir glaubst, mehr, als ich dir eigentlich aufladen dürfte. Und ich muss zugeben, dass es verlockend ist, unsere Beziehung auszunutzen und an deine Gefühle zu appellieren. Aber das werde ich nicht tun, weil meine Geschichte für sich stehen muss, nur getragen von Tatsachen, nicht von deiner Zuneigung zu mir. Sieh mich deshalb jetzt bitte nicht als deine Mutter an, sondern als Tilde, als Anklägerin …
    Bleib ruhig! Sei objektiv. Das ist deine einzige Aufgabe heute.
    Du wirst dich immer wieder fragen, wie es solche Anschuldigungen gegen deinen Dad geben kann, gegen Chris, einen freundlichen, sanftmütigen Mann, der dir ein wunderbarer Vater war. Dann denk daran: Er hat eine Schwäche, die andere ausnutzen können. Kompromisse sind ihm lieber als Streit. Er gibt leicht nach. Er lässt sich von anderen beeinflussen. Und er hat Bedürfnisse wie jeder andere Mensch auch. Ich glaube, er wurde in die Irre geführt und manipuliert, von einem Mann ganz besonders – einem wahren Scheusal.

M EIN VATER KANNTE JEDE PFLANZE und jede Blume beim Namen, er hatte noch nie die Stimme erhoben und liebte es, im Wald spazieren zu gehen – solche Vorwürfe passten einfach nicht zu ihm. Meine Mum spürte, wie ich zögerte, und reagierte überraschend einfühlsam:
    Macht dieses Wort dich skeptisch?
    Scheusal.
    Findest du es sehr weit hergeholt?
    Aber solche Menschen gibt es wirklich. Überall. In jeder Straße, in jedem Dorf, jedem Haus – auf jedem Hof.
    Was ein Scheusal ist? Ein Mensch, der vor nichts haltmacht, um seine Begierde zu stillen. Für den Mann, den ich meine, gibt es keine treffendere Beschreibung.
    In dieser Tasche ist ein Teil der Beweise, die ich im Laufe des Sommers gesammelt habe. Ich hatte noch mehr, aber in der Eile konnte ich nur diese Sachen aus Schweden schmuggeln. Das Sinnvollste wäre, die Beweise in chronologischer Reihenfolge durchzugehen, angefangen hiermit …

A US DEM VORDEREN FACH der Tasche zog meine Mum ein Filofax mit schwarzem Ledereinband, wie sie vor zwanzig Jahren beliebt waren. Darin steckten Papiere, Fotos und Zeitungsausschnitte.
    Eigentlich wollte ich in diesem Buch nur meine Gedanken festhalten, aber jetzt ist es das Wichtigste, was ich je gekauft habe. Beim Durchblättern wirst du sehen, dass ich im Laufe der Monate immer mehr aufgeschrieben habe. Sieh mal im April nach, als ich gerade auf dem Hof angekommen war. Auf den Seiten steht kaum etwas. Vergleich das mit dem Juli, drei Monate später, wo jede Zeile vollgeschrieben ist. Dieses Buch hat mir geholfen zu verstehen, was um mich herum geschieht. Es hat mich bei meinen Nachforschungen immer begleitet. Egal, was die anderen sagen, hier habe ich sofort alles aufgeschrieben, was passiert ist, spätestens ein paar Stunden danach. Wenn man das Alter der Tinte analysieren könnte, würden die Forensiker das bestätigen.
    Hin und wieder werde ich mich unterbrechen und in meinen Notizen nachsehen, damit mir keine Fehler unterlaufen. Hier gibt es keine künstlerische Freiheit. Wenn ich mich an irgendwelche Einzelheiten nicht erinnern kann und sie nicht im Buch stehen, werde ich nicht versuchen, die Lücken zu schließen. Du musst mir glauben, dass jedes Wort von mir die Wahrheit ist. Nicht einmal harmlose anschauliche Ausschmückungen werde ich mir erlauben. Ich werde zum Beispiel nicht behaupten, in den Bäumen hätten Vögel gesungen, wenn ich mir nicht ganz sicher bin. Wenn du den Verdacht hast, ich würde etwas hinzuerfinden und nicht nur die nackten Tatsachen erzählen, ist meine Glaubwürdigkeit dahin.
    Ein Letztes noch: Ich würde alles dafür geben, wenn die Probleme der letzten Monate nur in meinem Kopf existieren würden. Mein Gott, das wäre eine einfache Erklärung. Ich würde liebend gerne in eine entsetzliche Anstalt gehen und mich als Fantastin brandmarken lassen, so demütigend es wäre, wenn es dafür nie die