Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
Verbrechen gegeben hätte, von denen ich dir gleich erzähle.
W IR STANDEN IMMER NOCH , aber jetzt zeigte meine Mum auf einen Stuhl; offenbar würde ihre Geschichte länger dauern. Ich folgte ihrer Aufforderung und setzte mich ihr gegenüber an den Tisch, so dass die Tasche wie der Einsatz bei einem Pokerspiel zwischen uns lag. Sie suchte in ihrem Buch nach einem bestimmten Eintrag. Ich musste kurz daran denken, wie sie mir früher abends vorgelesen hatte, und der krasse Unterschied zwischen diesen friedlichen Kindheitserinnerungen und der Sorge, die ich jetzt empfand, machte mich traurig. Vielleicht fehlten mir die Neugier oder der Mut, aber am liebsten hätte ich sie gebeten, nichts zu sagen.
Das letzte Mal haben wir uns bei unserer Abschiedsparty gesehen. Am fünfzehnten April. Wir haben uns neben dem alten weißen Lieferwagen, in dem unser ganzes Hab und Gut war, zum Abschied umarmt. Alle waren bester Stimmung und haben viel gelacht – es war ein fröhlicher Tag, ein glücklicher Tag, einer der glücklichsten meines Lebens. Aber nicht einmal da bin ich mir noch sicher. Im Nachhinein behauptet Chris, ich hätte in Schweden ein perfektes Leben erwartet, meine Vorstellung und die Realität wären auseinandergeklafft, und mit den Monaten wäre die Kluft immer größer geworden, bis meine Enttäuschung in die Überzeugung umschlug, ich hätte kein Paradies gefunden, sondern unser neues Leben wäre die Hölle. Weil wir dort auf so vieles verzichten mussten, empfände ich es als Schande. Ein verführerischer Einwand. Und eine Lüge, eine kluge Lüge, weil ich trotz des Lachens besser als jeder andere wusste, welche Schwierigkeiten uns erwarteten.
Du weißt noch nichts davon, Daniel, aber wir sind pleite. Wir haben kein Geld. Gar keines. Dass wir während der Rezession zu kämpfen hatten, wusstest du. Aber es war viel schlimmer. Die Gärtnerei lief nicht mehr. Wir mussten dir etwas vorspielen, weil es Chris und mir peinlich war und wir nicht wollten, dass du uns Geld anbietest. Wenn ich ehrlich bin – und jetzt ist die Stunde der Wahrheit –, habe ich mich geschämt. Ich schäme mich immer noch.
A LS ICH DAS HÖRTE , reagierte ich mit einer Mischung aus Scham, Traurigkeit und Entsetzen. Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte wirklich nichts davon gewusst. Es nicht einmal geahnt. Wie konnte ich nichts von den Schwierigkeiten meiner Eltern mitbekommen haben? Das wollte ich meine Mum gerade fragen, aber sie spürte, dass ich sie unterbrechen wollte, und legte ihre Hand auf meine, damit ich schwieg.
Lass mich ausreden.
Bitte.
Du kannst gleich etwas sagen.
Ich war immer für die Buchhaltung zuständig. Dreißig Jahre lang habe ich das Ruder fest in der Hand gehalten. Uns ging es nicht schlecht. Viel Geld hat die Gärtnerei nie abgeworfen, aber wir wollten auch nicht reich werden. Wir hatten unser Auskommen. Wir machten unsere Arbeit gern. Und wenn wir ein paar Jahre keinen Urlaub im Ausland machen konnten, haben wir Tagesausflüge zum Strand unternommen. Wir sind immer zurechtgekommen. Wir hatten kaum Schulden, haben die Unkosten niedrig gehalten und anständig gearbeitet. Wir hatten treue Kunden. Sogar, als die billigeren Gartencenter vor der Stadt aufgemacht haben, haben wir überlebt.
Als du schon nicht mehr zu Hause gewohnt hast, landete ein Brief von einem Grundstücksmakler auf unserer Schwelle. Er hat uns erklärt, was unser winziges Gartengeschäft überhaupt wert war. Es war unglaublich. Solchen Reichtum hätte ich mir nie erträumen können. Wir haben unser Leben lang von morgens bis abends gearbeitet, Pflanzen gezogen und mit Mühe und Not einen Gewinn erwirtschaftet, während der Boden unter unseren Füßen von ganz allein immer kostbarer wurde. Irgendwann war er mehr wert als alles, was wir je verdient haben. Zum ersten Mal waren Chris und ich wie berauscht vom Geld. Wir luden dich zum Essen in schicke Restaurants ein. Wir verfielen in dumme Protzerei. Statt einfach zu verkaufen, beschloss ich, mit dem Grundstück als Sicherheit Kredite über mehrere hunderttausend Pfund aufzunehmen. Alle sagten, das sei das Vernünftigste. Warum sollten wir das Geld festhalten? Grund und Boden war wie ein Zaubermittel: Es schuf Wohlstand ohne Arbeit. Wir vernachlässigten die Gärtnerei, stellten Leute ein, die halbherzig die Arbeit übernahmen, in die wir immer so viel Herzblut gesteckt hatten, und kauften Wohnungen als Geldanlage. Von außen betrachtet trafen Chris und ich die Entscheidungen gemeinsam, aber du
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