Ohne Kuss ins Bett
Kleidung ab, schlüpfte in den Bademantel und kämmte ihr nasses Haar. Dabei blickte sie in den Spiegel und versuchte, May in ihren Augen zu entdecken. Sie musste sicher sein, ob das wirklich sie selbst war, nur sie selbst, und niemand sonst.
Dann ging sie auf die Suche nach North.
Er wartete draußen im Vorraum, ebenfalls trocken und in einem ausgeblichenen T-Shirt und einer alten Trainingshose, und sie wollte anfangen, sich zu entschuldigen, aber sie kam nur bis: »Es tut …«, als er schon seine Arme um sie gelegt hatte. Da lehnte sie sich an ihn und war unendlich dankbar dafür, dass er sich zwischen sie und den Rest ihres verrückten Lebens stellte.
»Komm mit hierher.« Er zog sie in ihr Schlafzimmer – Mays Schlafzimmer – und setzte sie auf die Bettkante, legte seinen Arm um sie und blickte ihr in die Augen. »Was, zum Teufel, war das gerade?«
»Ich war sozusagen besessen.« Allein es auszusprechen verursachte ihr bereits ein Gefühl der Übelkeit.
Sein Gesicht wurde ausdruckslos. »Besessen.«
»Hör mir einfach zu«, bat sie und fühlte sich erschöpft und vergewaltigt und hoffnungslos. »Du musst mir nicht glauben, aber hör mir erst einmal zu.« Er nickte, und sie fuhr fort: »Es gibt Geister in diesem Haus. Das Kindermädchen hatte recht. Die anderen, die vorher gekündigt hatten, wurden von ihnen verscheucht, auch wenn es ihnen nicht klar war, dass es Geister waren. Es sind drei. Zwei sind mit dem Haus zusammen gekommen, sie sind sehr alt und existieren nur noch als … Verlangen. Der eine will das Haus, und die andere will Alice.«
»Hast du diese Geister gesehen?«, erkundigte sich North, sorgfältig um einen neutralen Ton bemüht.
»Ja. Aber das sind nicht die, von denen ich besessen war. Das war May, die Tante der Kinder, die Schwester ihrer Mutter. Ich glaube, du hast sie kennengelernt, als du nach dem Tod ihres Vaters hier warst.«
»Ja. Sehr jung«, erwiderte North. »Sehr freundlich. Eine Menge dunkles, lockiges Haar. Sah dir ein bisschen ähnlich.«
»Viel schöner, als ich je sein werde«, widersprach Andie, und es wurde ihr erneut übel. »Ja, das ist sie. Die Geister haben sie umgebracht.«
North nickte wieder, sein Gesicht reglos wie eine Maske. »Und jetzt geht sie um?«
»Tanzt meistens«, erwiderte Andie. »Sie ist jung, und sie ist verbittert, weil sie so jung starb, und sie will ihr Leben zurück, sie will in irgendeiner Form weiterleben.«
»Verständlich«, kommentierte North.
»Und sie ist scharf auf dich. Deswegen hat sie mich … gekapert. Ich war so müde und angesäuselt, und ich bin eingeschlafen, und da ist sie einfach … in mich hineingeschlüpft, hat das Kommando übernommen und ist zu dir gegangen. Das war May, mit der du gesprochen hast, nicht ich.«
»Ich dachte, es wäre der Scotch.«
»North, es gibt wirklich und wahrhaftig Geister hier, und sie sind gefährlich. Ich weiß, du wirst mir nie glauben, aber es ist wahr. Ich kann es dir nicht beweisen, ich kann dir nichts vorweisen, was vor Gericht Bestand hätte, aber ich sage dir, in diesem Haus spukt es, und wir sind alle in Gefahr. Ich muss etwas dagegen unternehmen, und aus diesem Grunde werden wir morgen noch einmal eine Séance abhalten.«
Er nickte, ruhig wie immer. »Wie wäre es, wenn wir alle einfach wegfahren würden? Alles einpacken und uns aus dem Staub machen?«
»Alice würde nicht mitkommen, und wenn Alice nicht mitkommt, kommt Carter auch nicht mit, und wenn Alice und Carter nicht mitkommen, komme ich auch nicht mit. Ich weiß, du hast Alice gesagt, dass sie hier fortmuss, wenn sie in Gefahr ist, aber wir können sie nicht zwingen. Du hast ja gesehen, was passiert ist, als Will es versuchte. Selbst wenn wir sie nach einem solchen Anfall wieder stabilisieren könnten, würde sie danach keinem von uns je wieder vertrauen. Nein, ich bleibe hier, bis Alice bereit ist mitzukommen.« North schüttelte den Kopf, und Andie fuhr fort: »Ich glaube, sie weiß mehr über das, was hier so vor sich geht, als jeder andere. Alice und Carter, die beiden wissen Dinge, die ich nicht weiß. Wir werden nirgendwohin gehen, bis sie mir genug vertrauen, um mir alles zu sagen.«
»Tja, und das ist meine größte Sorge«, meinte North mit weicher, freundlicher Stimme. »Du glaubst an Geister.«
Andie schloss die Augen, überwältigt von der hoffnungslosen Situation. Er würde sie nie verstehen, ihr nie glauben. Wenn sie die Geister nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde sie sich selbst nicht
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