Ohne Kuss ins Bett

schon. Also war es keine neue Idee, den Spuk vorzutäuschen.
    Vielleicht war anfangs in England das Spuken eine nützliche Methode gewesen, Fremde vom Haus fernzuhalten. Vielleicht wurde geschmuggelt. Und irgendjemand hatte so sehr an die Gespenstergeschichten geglaubt, dass er die Leichen ausgegraben und verbrannt hatte.
    Und dann hatte jede nachfolgende Generation, die ihre Abgeschiedenheit wahren wollte, diese Tradition fortgeführt, bis schließlich die Gerüchte mit dem Haus nach Amerika kamen. Stellte man sich vor, was für ein Mensch das sein musste, der ein Spukhaus abbauen, über den Ozean nach Amerika transportieren und dort Stein für Stein wieder aufbauen ließ, dann hatte der ursprüngliche Archer wahrscheinlich selbst diese Geschichte verbreitet, um sich interessant zu machen. »Hab mir aus England drüben ein echtes Spukhaus mitgebracht, jawoll.« Und dann hatte irgendjemand hier den Gerüchten so sehr geglaubt, dass er in England jemanden beauftragte, Salz auf das Grab zu streuen? Das war weniger einleuchtend.
    Und schließlich hatte Cousin Theodore Grabräuber angeheuert und war in der gleichen Nacht gestorben.
    Die Wanduhr in der Küche begann zu läuten, und North stellte fest, dass es kurz vor vier Uhr war. Jetzt würde die Séance beginnen. Er machte sich zur Großen Halle auf, um das Ganze zu stoppen, und stieß an der Dienstbotentreppe auf Southie.
    »Wir müssen die Séance stoppen«, meinte er.
    »Nein«, entgegnete Southie und hob einen Schüsselbund in die Höhe. »Wir müssen dafür sorgen, dass die Séance so lange wie möglich dauert, damit du und Gabe die Videoaufzeichnungen aus dem Sendewagen holen könnt, die möglicherweise noch dort sind.«
    North blickte auf die Schlüssel. »Sind das die Schlüssel für den Sendewagen?«
    »Ich habe zu Bill gesagt, ich hätte meine Brieftasche dort vergessen. Er ist so wütend auf Kelly, dass er mir die Schlüssel wahrscheinlich sogar ohne Grund gegeben hätte. Beschädigt die Einrichtung nicht, holt euch einfach nur die Bänder. Ich sorge dafür, dass die Séance so lange wie möglich dauert.«
    Gabe tauchte hinter ihnen auf und vermeldete: »Ich weiß jetzt, was hier vorgeht. Kommen Sie mit mir in die Speisekammer, dann zeig ich’s Ihnen.«
    »Zuerst müssen wir einen Sendewagen ausrauben«, entgegnete North.
    »Okay«, meinte Gabe.

Kapitel 12
    Als die Plätzchen fertig gebacken waren, hatte Andie Lydia gebeten, bei den Kindern in der Bibliothek zu bleiben, damit Kelly sich nicht wieder an sie heranmachen konnte, und Lydia hatte mit so viel Ärger in der Stimme geantwortet: »Kein Problem«, dass Andie sich keine Sorgen mehr um die Kinder machte. Lydia würde Kelly einen Pfahl durchs Herz stoßen, bevor sie auf Sichtweite an Carter und Alice herankam.
    Dann machten Andie und Flo sich auf den Weg zu den anderen in der Großen Halle, aber Will hielt sie auf, die Übernachtungstasche in der Hand.
    »Ich fahre ab«, verkündete er mit mürrischem Gesicht.
    »Gut«, kommentierte Flo und setzte ihren Weg in die Große Halle fort.
    Gut , dachte Andie gleichzeitig. »Sei vorsichtig, wenn du von der Zufahrt auf die Straße fährst. Diese Stelle ist wirklich gefährlich.«
    Er nickte. »Aber erst muss ich dir noch etwas sagen.«
    Andie warf einen Blick zum Bogendurchgang in die Große Halle. »Kannst du’s kurz machen?«
    »Klar«, erwiderte er scharf. »Ich habe letzte Nacht mit Kelly geschlafen.«
    Andie wandte sich ihm wieder zu. »Ach wirklich? Mit Kelly?«
    »Ich war einfach so wütend auf dich, deine Art, wie du mit …«
    »Ja, ja«, schnitt Andie ihm das Wort ab, »es macht nichts, wir sind ja nicht mehr zusammen, und du kannst schlafen, mit wem du willst, aber … ausgerechnet Kelly?«
    »Es war nicht meine Schuld«, antwortete Will. »Sie kam in mein Zimmer. Ich wollte Nein sagen, aber sie sagte: ›Andie liebt North, und ich bin jetzt hier‹, und da dachte ich, irgendwie hat sie recht …«
    »Vollkommen verständlich«, meinte Andie, die noch immer nicht begriff. »Meine Glückwünsche für die Zukunft …«
    »Da gibt’s keine Zukunft«, stellte Will ärgerlich fest. »Sie war sehr sonderbar.«
    »Das will ich wirklich nicht wissen«, wehrte Andie ab, und dann erinnerte sie sich, dass Southie das Gleiche gesagt hatte. »Wie denn, sonderbar?«
    »Kalt. Als wenn sie gar nicht wirklich da gewesen wäre. Nicht wie du. Es war nicht wie mit uns. Ach, Andie, wenn du nur endlich vernünftig …«
    »Nein«, sagte Andie. Aber sie dachte: