Ohne Kuss ins Bett
»Ich will dich und die Kinder hier so schnell wie möglich rausholen, so oder so.«
Andie nickte. »Aber es sind wirklich Geister, also verschwendet nicht zu viel Zeit.« In diesem Augenblick ertönte aus der Richtung der Bibliothek ein »Nein, nein, nein!«, und sie verschluckte, was sie noch hatte sagen wollen, und eilte hinüber, um sich darum zu kümmern, welche neue Ungerechtigkeit Alice widerfahren war.
Sie verbrachte die nächsten Stunden damit, Leute mit Essen zu versorgen, zu versuchen, Kelly und ihren Kameramann loszuwerden – doch der Sturm hatte noch kein bisschen nachgelassen, und der Sendewagen steckte fest –, Flo und Lydia am offenen Krieg zu hindern – ihre Allianz gegen Kelly war auch kein Allheilmittel – und rings um die Kinder so viel Normalität wie möglich aufrechtzuerhalten. Und das bedeutete, dass sie Will mehrmals auffordern musste, sie in Ruhe zu lassen, während sie mit den Kindern in der Bibliothek lernte, und dass sie North und Gabe abkanzelte, die jeden Zentimeter des Hauses nach etwas absuchten, was nicht da war.
Denn der Spuk in diesem Haus war echt.
Die einzigen Gäste, die ihr nicht auf die Nerven gingen, waren Dennis und Isolde, die sich im Esszimmer verschanzt und eine unsichere Allianz gebildet hatten, die in dem Maße allmählich an Anspannung verlor, wie der Tag vorrückte und der Brandy-Pegel in der Dekantierflasche vor ihnen auf dem Tisch sank. Andie bereitete Sandwiches zum Lunch zu und verbot allen, das Esszimmer zu betreten, weil darin gearbeitet wurde.
»Woran denn?«, erkundigte sich Kelly und lächelte automatisch, obwohl selbst sie allmählich begriffen haben musste, dass alle sie verabscheuten.
»Das geht Sie gar nichts an«, entgegnete Andie und zog sich wieder in die Bibliothek zurück, um dort mit den Kindern zusammen zu essen.
Gegen drei Uhr ging sie, um nach dem Rechten zu sehen, wieder zu Dennis und Isolde, die die Köpfe über den Notizen zusammengesteckt hatten.
»Da ist eine bemerkenswerte Übereinstimmung in den Berichten festzustellen«, meinte Dennis. »Jemand muss die Geschichte niedergeschrieben und herausgefunden haben, dass jede Generation das Gleiche erzählte. Normalerweise findet man viel mehr Abweichungen, viel mehr Ungereimtheiten.«
»Nun ja, es sind die gleichen Geister«, sagte Isolde. »Natürlich klingen dann auch die Berichte gleich.«
»So etwas wie Geister gibt es nicht«, entgegnete Dennis automatisch, und diesmal verdrehte Isolde die Augen zum Himmel. Doch immerhin sprachen sie jetzt miteinander und kamen voran, und so ließ Andie sie wieder allein und machte sich daran, die Große Halle vorzubereiten.
»Ich bin schon sehr gespannt auf unsere nächste Séance«, trillerte Kelly, als sie Andie mit einem Stuhl aus dem Esszimmer kommen sah. »Und ich würde Sie gern interviewen …«
»Hauen Sieab«, herrschte Andie sie an, »oder ich schwöre Ihnen, dass ich Sie trotz Sturm persönlich aus dem Haus werfe, dann können Sie mit Ihrem Kameramann draußen im Sendewagen schlafen.«
»Jetzt ist es drei Uhr«, erklang Alice ’ Stimme hinter ihr.
»Was passiert denn um drei Uhr?«, fragte Kelly und strahlte Alice an.
»Wir backen«, erwiderte Alice, drehte Kelly den Rücken zu und marschierte zur Küche.
»Ist es in Ordnung, wenn ich dabei zusehe?«, fragte Kelly.
»Nein«, antwortete Andie, »hauen Sie ab, und zwar für immer.« Dann wandte sie sich ebenfalls ab und ging, um mit Alice Plätzchen zu backen.
Der Nachmittag war fast vorüber, und North und Gabe standen vor dem Haus und betrachteten es niedergeschlagen. Es hatte aufgehört zu regnen, aber auch die Sonne hatte für diesen Tag aufgegeben, und das Haus ragte in der Dämmerung halb verfallen vor ihnen empor. Sie hatten eine Schachtel mit Dingen, die sie gefunden hatten, in der Speisekammer gelassen – ein paar seltsam geformte Metallteile; ein Stück messingfarbene Kette; ein paar alte, bräunliche Fotografien; verrostete Schrauben und einen verbogenen Schraubenzieher; eine zerbrochene Taschenuhr; die Haarspange einer Frau und verschiedene Schlüssel, die in kein Schlüsselloch passten und auch zu nichts nütze waren, da im Haus nichts abgeschlossen war – alles nur altes, unbrauchbares Zeug, und North wusste, dass sie letztendlich nichts hatten. In diesem Hause war nichts, nicht nur nichts Verdächtiges, sondern einfach gar nichts. Mrs Crumb lebte offensichtlich nur in der Küche und in ihrem Zimmer und ignorierte den Rest des Hauses. Die Kinder hatten
Weitere Kostenlose Bücher