Ohne Kuss ins Bett
Andie. »Sie ist die Tante der Kinder.«
»Und noch eine Frau. Und einen Mann. Sind sie das?«
Er zog drei Blätter Papier hervor, grobe Amateurskizzen, aber Andie erkannte May in all ihrer Schönheit, Miss J. mit ihrem volantbesetzten Rock und mit den leeren Augenhöhlen, und Peter in seinem Mantel, die Hände in die Hüften gestützt, in einer Haltung, als gehörte das Anwesen ihm. Dennis hatte sie nicht sehr geschickt, aber sehr detailgetreu gezeichnet.
»Das sind sie, alle drei.«
»Dann habe ich wirklich Geister gesehen«, meinte Dennis andächtig. »Und ich hatte schon befürchtet, dass es nur Halluzinationen wären.«
»Nun ja, möglicherweise«, meinte Andie und sah sich dann noch mal die Zeichnungen an. Viele Details.
»Sind es wirklich die Geister?«, fragte er erneut. »Trägt May diese Ohrringe, trägt die andere Frau dieses Medaillon, und besitzt der Mann in dem Mantel diese Uhr? Stimmen diese Details?«
»Ja. Das heißt, Sie haben die Geister wirklich gesehen.«
Dennis schloss die Augen und lächelte. »Mein ganzes Leben lang wollte ich Geister sehen. Das ist wunderbar.«
»Nein, es ist schrecklich, denn sie sind gefährlich. Dennis, sie wollen die Kinder und das Haus, und sie bringen Menschen um, wenn sie ihnen in die Quere kommen.« Wieder blickte sie auf die Zeichnungen. »Das hier gefällt ihnen womöglich nicht. Ich glaube, Sie sollten morgen früh sofort abreisen.«
»Abreisen, wenn es hier Geister gibt?«, rief Dennis ungläubig aus. »Nein, ich bin doch hier, um Ihnen zu helfen. Ich könnte eigentlich auch noch hierbleiben, wenn Sie fort sind, und meine Studien fortsetzen, wenn es erlaubt ist.«
»Die Haushälterin ist fort«, erwiderte Andie. »Und es ist gefährlich.«
»Ich brauche keine Haushälterin«, winkte Dennis ab. »Ich kann als Hausmeister hierbleiben, alles hier für Sie in Ordnung halten, wenn ich nur weiterhin meine Studien betreiben darf. Könnten wir morgen noch eine Séance abhalten? Ich weiß, Isolde ist dagegen, aber wenn ich auch mit ihnen sprechen könnte, so wie Sie es getan haben …«
»Nein«, wehrte Andie ab und erhob sich. »Falls Sie Isolde morgen früh vor mir zu Gesicht bekommen sollten, dann sagen Sie ihr doch bitte, dass ich sie sprechen muss, bevor sie abreist.«
»Sie kann nicht abreisen«, rief Dennis aus, »da doch tatsächlich Geister hier sind!« Es klang, als hätte er mit der Verwunderung und Begeisterung eines kleinen Kindes gesagt: »Das Christkind war wirklich hier.«
»Gute Nacht, Dennis«, erwiderte Andie und ging wieder zu North hinauf.
»Die Kinder schlafen beide«, berichtete er, als sie ins Zimmer kam, wo nun das Gasfeuer brannte. »Ich habe hier drin auch das Feuer angezündet.«
»Ich weiß, dass du nicht daran glaubst, aber die Geister sind wirklich da«, erklärte Andie. »Dennis hat sie auch gesehen.«
»Dennis war bis obenhin voll mit gedoptem Brandy«, entgegnete North.
»Sie sind wirklich da.« Andie ließ sich auf die Bettkante sinken, zu müde und erschöpft, um noch nach Argumenten zu suchen.
North zog die Decke zurück, und sie ließ sich auf die Kissen fallen, während er neben ihr ins Bett schlüpfte. »Lass uns einfach die Kinder hier herausholen«, meinte er und schlang seine Arme um sie.
Sie kuschelte sich an ihn, dankbar, dass er da war, selbst wenn er keine Ahnung davon hatte, mit was sie es hier zu tun hatten. »Ja, einverstanden. Hast du einen Plan?«
»Morgen werde ich einen Plan entwickeln.« North küsste sie auf die Stirn. »Schlaf jetzt. Du hattest einen harten Tag.«
»Morgen«, murmelte Andie und fragte sich, was, zum Teufel, sie morgen tun sollte, um irgendetwas an der Situation zu ändern. Dann schlief sie in Norths Armen ein.
Am nächsten Morgen begegnete Andie, die auf dem Weg in die Küche war, um das Frühstück vorzubereiten, am Fuße der Treppe Isolde.
»Dennis hat die Geister gesehen«, berichtete sie dem Medium.
»Ich weiß, er hat’s mir gesagt«, erwiderte Isolde. »Verdammte Amateure.«
»Er will noch eine Séance.«
»Nur über meine Leiche.«
»Sagen Sie so etwas hier nicht«, beschwor Andie sie. »Helfen Sie mir einfach, die Toten, die wir hier haben, auszutreiben.«
»Ich habe darüber nachgedacht«, meinte Isolde. »Haben Sie Dennis ’ Zeichnungen gesehen? Die Frau hatte ein Medaillon.«
»Ja«, stimmte Andie zu und bemühte sich, sich zu erinnern.
»Ich glaube, das ist das Medaillon, das Alice trägt.«
Andie blieb wie versteinert stehen. »Sie hat mir erzählt, es
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