Ohne Kuss ins Bett
leid. Ich hätte viel früher bei dir sein sollen.«
Er lag steif in ihren Armen, unnachgiebig, wie Alice anfangs gewesen war, aber Carter schrie nicht, er litt stumm.
»Ich bringe das in Ordnung«, versprach Andie und hielt ihn an sich gepresst. »Ich werde sie zum Teufel schicken. Ich hole euch hier heraus …«
»Was ist los?«, fragte Alice schlaftrunken und richtete sich in ihrem Bett auf.
»Da war ein Geist in Carters Zimmer«, antwortete Andie.
»Ist ihm etwas passiert? War es Peter?«
»Peter?«, wiederholte Andie und dachte: Verdammt, von wegen Halluzination .
»Der Geist, der das Haus haben will«, erklärte Carter.
»Warum hast du denn dein Kaminfeuer nicht angezündet?«, fragte Andie. Er fühlte sich in ihren Armen noch immer so kalt an, und sie wiegte ihn ein wenig, voller Schuldbewusstsein, weil sie ihn so lange mit diesem Geist allein gelassen hatte.
»Der Kamin funktioniert nicht«, antwortete Carter.
»Herr im Himmel«, stieß Andie hervor und dachte: Warum hast du mir das nicht gesagt? Die Crumb wusste, dass der Gaskamin nicht funktioniert, und hat Carter trotzdem in dieses Zimmer gesteckt . Ich habe ihn wirklich schmählich im Stich gelassen . »Es tut mir so leid, Carter, es tut mir so leid.«
»Du hast doch gar nichts getan«, entgegnete er, noch immer steif in ihren Armen.
»Genau das tut mir ja so leid.«
Er löste sich von ihr, und sie ließ es zu. Fast kamen ihr die Tränen, weil sie ihn sträflich vernachlässigt hatte.
»Ich bin okay«, meinte er. »Es ist wieder gut.«
Sie nickte. »Wir werden all dein Zeug aus deinem Zimmer später hierherholen. Du gehst da nie wieder hinein.«
»Ich bin schon okay«, wiederholte er mit diesem ausdruckslosen Blick.
Sie packte ihn an den Armen, als könnte sie ein wenig Leben in ihn hineinschütteln. »Carter, jetzt wird wirklich alles anders, das schwöre ich. Ich werde euch hier herauskriegen. Ich weiß, dass Miss J. May umgebracht hat, weil sie versucht hat, euch von hier wegzubringen …«
»Nein, deswegen war es nicht«, widersprach Carter.
Andie wartete.
Er schluckte, und dann begann er zu reden, und als er erst einmal angefangen hatte, schien er nicht mehr aufhören zu können. »Alice schrie in dem Vorraum beim Badezimmer, weil wir die ganze Nacht allein waren, weil Tante May ausgegangen war und Alice Angst hatte. Dann kam Tante May nach Hause und stieg auf den Turm hinauf und rief ihren Freunden etwas zu, und dann kam sie wieder herunter und sagte: ›Halt die Klappe, Alice‹, aber Alice konnte nicht aufhören zu weinen. Tante May zog ihr Tanzkleid an und wirbelte herum und rief: ›Siehst du, Alice? Siehst du, wie hübsch das ist?‹, aber Alice hörte nicht auf, und Tante May war betrunken, und ich versuchte, Alice zu trösten, aber ich konnte es nicht, und dann gab Tante May ihr eine Ohrfeige …«
Er holte tief und zitternd Luft, die Augen völlig ausdruckslos, und Andie dachte: Verfluchte May .
»Ich habe Alice in den Arm genommen, und Tante May sagte, dass es ihr leidtäte. Sie sagte, dass sie so allein wäre, und erzählte von irgendeinem Kerl, der sie nicht beachtete. Und sie sagte, sie würde alles gutmachen, aber er käme nie zurück und wollte sie nicht lieben. Aber das war mir alles egal.« Seine Stimme wurde hart. »Sie hat Alice geschlagen.«
»Allerdings«, stimmte Andie ihm zu, »du hattest ganz recht.«
»Dann fing sie an zu weinen und ging auf die Galerie hinaus, und Alice ging hinter ihr her und weinte auch und sagte, sie sollte nicht weinen, und dann hörte ich sie beide schreien.« Wieder musste er schlucken. »Und als ich auf die Galerie kam, stand Alice am Geländer und schrie, und das Geländer war gebrochen, und Tante May lag unten in der Großen Halle.« Einen Augenblick sah er aus, als würde ihm übel. »Ich habe über die Kante runtergesehen, und da lag sie … Der Hals war schief, und überall war Blut … unter ihrem Kopf. So viel Blut. Und Alice sagte, dass es Miss J. gewesen wäre, dass Miss J. aus dem Teppich gekommen wäre, aber dann kam Mrs Crumb aus ihrem Zimmer und sah alles. Sie sagte zu mir, ich sollte dafür sorgen, dass Alice ruhig wäre, und meinen Mund halten und wieder ins Bett gehen.«
Andie legte die Arme um ihn und zog ihn eng an sich, und diesmal gab er nach und lehnte sich an sie. »Die Crumb ist fort. Dein Onkel North hat sie heute Nachmittag aus dem Haus geworfen. Und du bist jetzt nicht mehr auf dich gestellt. Ich bin hier, und ich weiß, dass es die Geister gibt,
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