Ohne Kuss ins Bett
weißt du, es tut mir verdammt leid, dass ich das nicht schon vor zwei Jahren gesagt habe.«
»Hätte auch nichts genützt«, erwiderte Carter. »Wir können hier nicht fort.« Es klang hoffnungslos, nicht trotzig.
»Warum nicht?«
»Es sterben immer Menschen, wenn wir versuchen, von hier fortzugehen.«
»Wer denn?«
»Mein Dad. Tante May. Das letzte Kindermädchen beinahe auch. Sie wollen uns hierbehalten.«
»Die Geister?«
Carter nickte. »Ich weiß, dass du uns für verrückt hältst, aber wir sehen sie. Andie sieht sie auch. Ich habe es erst nicht geglaubt und dachte, sie würde nur so tun, damit wir uns besser fühlen, aber sie hat Peter angeschrien. Sie hat ihn gesehen. Und sie spricht mit Tante May.«
»Zumindest glaubt sie das. Hör mal, wir können euch beschützen …«
»Nein.« Carter schüttelte den Kopf. »Es war schon schlimm genug, bevor Andie kam, als Tante May sterben musste. Alice hat so viel Angst, dass Miss J. noch jemanden umbringt. Und das ist noch nicht alles.« Er verstummte und warf einen Blick zu seiner kleinen Schwester hinüber, die wie ein kleiner Geist unter der paillettenbestickten Decke schlummerte. »Alice hat Andie schrecklich lieb. Tante May, die haben wir gerngehabt, aber Andie … Wenn Andie sterben muss, dann wird Alice endgültig verrückt. Wir können das nicht machen.«
»Andie wird nicht sterben«, entgegnete North, und der resignierte Tonfall des Jungen jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken.
»Du kannst sie nicht davon abhalten«, erwiderte Carter. »Du glaubst ja nicht einmal, dass es sie gibt.«
»Wenn ich euch nach Columbus bringe, ist dann mit euch alles in Ordnung?«, fragte North und bemühte sich, eine gewisse Logik in das Ganze zu bringen. »Oder werden sie euch folgen? Diese Geister?«
»Ich weiß nicht. Miss J. bringt Leute um, um zu verhindern, dass Alice weggeht, deswegen glaube ich nicht, dass sie von hier fortgehen kann. Sie werden es nicht zulassen. Das begreifst du einfach nicht. Sie lassen uns nicht fort.«
»Du hast recht, ich begreife es nicht«, gab North zu. »Aber ich werde es noch begreifen. Ich weiß schon viel mehr darüber als zu Anfang, und das Übrige werde ich auch noch verstehen. Und dann setze ich dem ein Ende und bringe euch nach Columbus. Ihr werdet wieder ein normales Leben führen, Carter. Dafür sorge ich.«
Carter blickte ins Feuer. Er zitterte nicht mehr und war wieder warm. Aber er glaubte nicht daran, dass irgendjemand ihn retten würde.
Ich hätte das alles nicht schlimmer verpfuschen können, selbst wenn ich mich angestrengt hätte , dachte North.
Carter blickte auf. »Danke.«
»Was?«, fragte North.
»Dass du versuchst, uns zu helfen.« Er zögerte einen Augenblick und fügte höflich hinzu: »Wir wissen das zu schätzen.« Dann kletterte er in das zweite Bett, zog die Decke über sich und drehte North den Rücken zu.
»Bitte sehr«, erwiderte North und dachte: Ich kriege dich hier heraus, mein Junge , und begann, systematisch und gründlich über alles nachzudenken. Er wünschte, er hätte einen Notizblock und einen Stift bei sich.
»Es sind Geister oben im zweiten Stock«, eröffnete Andie Dennis, als sie ihn, noch immer in seine Arbeit vertieft, im Esszimmer vorfand.
»Welche?«, erkundigte sich Dennis.
»Peter. Und sie werden stärker. Wo ist Isolde?«
»Sie ist zu Bett gegangen«, antwortete Dennis und wühlte in seinen Notizen. »Peter. Richtig. Ein Mann namens Peter wurde in diesem Haus ermordet. Der amtliche Bericht lautet, dass er auf einem Trampelpfad gefunden wurde, aber es ging damals das Gerücht um, dass es in Wirklichkeit im Haus geschehen sei, und aus diesem Grund spukt er hier herum.«
»Das heißt, andere Leute wussten, dass er hier war?«
»Ich kann da nicht viel finden«, erwiderte Dennis und zog ein sehr altes Buch zu sich heran. »Das hier habe ich in der Bibliothek gefunden. Es ist ein Tagebuch einer Gouvernante, die damals im Haus gelebt hat. Sie bewundert ihn, aber sie sagt auch, dass er sehr besitzergreifend ist, was das Haus betrifft. Ich nehme daher an, dass er sich jetzt, wo er tot ist, noch immer für den Besitzer des Hauses hält.«
»Warten Sie mal«, stieß Andie hervor. »Sie glauben an diese Geister?«
»Ich habe sie gesehen«, entgegnete Dennis.
Andie setzte sich neben ihn. »Was haben Sie gesehen?«
»Eine wunderschöne Frau.« Sein Gesicht leuchtete auf. »Dunkles, lockiges Haar, große Augen, wunderschönes Lächeln.«
»Das ist May«, erklärte
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