Ohne Kuss ins Bett
das Buch zurück, erhob sich und eilte hastig zum Haus zurück. Andie erhob sich ebenfalls und schüttelte die Flickendecke aus. Dann hob sie alles auf und wandte sich dem Haus zu. Dabei erspähte sie eine Gestalt oben auf dem Turm des Hauses. Sie beschattete wieder ihre Augen, aber die Sonne stand direkt hinter der Gestalt, und so konnte sie nur so viel erkennen, dass es ein großer Mann mit seltsam eckigen Schultern war, als trüge er einen altmodischen Mantel mit Schultercapes. Er stand sehr aufrecht und hatte beide Hände auf die Brüstung gelegt, als gehörte ihm der Besitz.
Es mochte Bruce, der Mann von der Baufirma, sein. Vorausgesetzt, Bruce hätte angefangen, sich zu verkleiden, sein Haar rot gefärbt und sich einen Bart stehen lassen, um so zur Arbeit zu erscheinen.
»Ich will jetzt einen Snack«, rief Alice ihr aus einigen Metern Entfernung zu, und Andie deutete hinauf zum Turm.
»Wer ist das?«, fragte sie, und Alice blickte hastig zum Turm hinauf.
»Ich sehe niemanden«, rief sie und wandte sich wieder der Tür zu. »Wir müssen heute noch den Schmetterlingsgarten mulchen!«, schrie sie über die Schulter zurück, und Andie betrachtete die Gestalt auf dem Turm, die sie beobachtete, und sie warf einen Blick zurück zu den Bäumen, wo die Frau stand und sie ebenfalls beobachtete.
Na gut, also werde ich mir jetzt ein paar Antworten holen , dachte sie und folgte Alice ins Haus, um Mrs Crumb ausfindig zu machen.
Als Alice in der Bibliothek mit ihrem Buch über Schmetterlinge, ihrer Jessica-Puppe, einem Glas Milch, einem Sandwich mit Erdnussbutter und Gelee sowie zwei Plätzchen gemütlich untergebracht war, ging Andie in die Küche zurück, wo Mrs Crumb in einer ihrer ausgeblichenen geblümten Küchenschürzen über eine Tasse stark duftenden Pfefferminztees gebeugt am Küchentisch saß. Sie hielt Spielkarten in einer Hand und blickte auf den Kartenständer mit einer zweiten Handvoll Karten auf dem Tisch ihr gegenüber.
»Da draußen stand eine Frau hinten am Teich«, sagte Andie unvermittelt zu ihr.
»Eine Frau?« Mrs Crumb war plötzlich auf der Hut.
»In einem langen, altmodischen Kleid. Alice hat sie auch gesehen, und ich glaube, sie kannte sie.«
Mrs Crumb schien zu erschrecken. »Hat Alice das gesagt?«
»Nein. Sie behauptete, sie sähe sie nicht, aber Alice kann nicht so gut schauspielern.«
»Auf der anderen Seite des Teichs?«
»Gibt es dort drüben Nachbarn?«
Mrs Crumb zuckte nur die Schultern und wandte sich wieder ihren Karten zu.
Andie ließ sich ihr gegenüber am Tisch nieder und schob den Kartenhalter heftig zur Seite, sodass Mrs Crumb erschrocken aufblickte.
»Wissen Sie, allmählich habe ich all das geheimnisvolle Getue wirklich satt«, stellte Andie fest. »Gibt es hier irgendeine verschrobene Kuh von Nachbarin, die da herumstreicht?«
»Was für Ausdrücke!« Mrs Crumb schien sich mehr an der »Kuh« zu stoßen, als sich darüber zu beunruhigen, dass vielleicht eine Fremde auf dem Grundstück herumstrich.
»Wer war diese Frau? Alice will offensichtlich nicht, dass ich es erfahre, deswegen sollte ich sie lieber nicht noch einmal fragen.«
»Sie würden es mir nicht glauben.«
»Versuchen Sie’s.«
Mrs Crumb zögerte, dann legte sie ihre Spielkarten auf den Tisch und beugte sich über den Tisch. »Das ist sie. Sie beobachtet Alice. Sie möchte ein Kind, um das sie sich kümmern kann. Sie tut Alice nichts. Sie beschützt sie.«
»Sagen Sie mir, dass Sie damit ein gefeuertes Kindermädchen meinen. Dann werde ich eine rechtliche Verfügung beantragen …«
»Sie war einst Gouvernante in diesem Haus«, erzählte Mrs Crumb und erwärmte sich langsam für die Geschichte. »Vor langer Zeit. Vor ungefähr hundert Jahren. Ach, noch länger. In England. Miss J., wie Alice sie nennt. Sie war eine wirkliche Dame, aber ein schlechter Mensch namens Peter hat sie in den Schmutz gezogen. Sie starb. Und jetzt geht sie um.«
Andie betrachtete den Glanz in den Augen der alten Frau und dachte: Sie glaubt das tatsächlich . Oder vielleicht wollte sie auch nur, dass Andie es glaubte und schreiend Reißaus nahm. Vielleicht hatte sie sogar jemanden dazu angeheuert, sich dort hinten an den Teich zu stellen. Ihr die Frau in den Träumen vorzugaukeln wäre wohl schwieriger, aber …
»Dieser Peter war schuld daran«, fuhr Mrs Crumb lebhaft fort. »Er war ein Schurke, ein Bösewicht. Es gab da eine ganze Reihe von Frauen, sie war die letzte. Und dafür musste die arme Frau bezahlen!«
»Mrs
Weitere Kostenlose Bücher