Ohne Kuss ins Bett
dauern?«
»Ich weiß nicht. Ich hoffe, dass ich hier in der Staatsbibliothek etwas finde, was mir hilft. Könnten wir das beim Abendessen besprechen? Ich muss jetzt wirklich weiter.«
»Sicher«, erwiderte er, aber es klang nicht besonders glücklich, und das war absolut verständlich. Auch für sie war es nun schon fast einen Monat her.
Aber andererseits auch wieder nicht. Sie hatte sich nicht einmal danach gesehnt, mit Will zu schlafen. Vielleicht war es das Alter. Aber nein, es hieß, dass Frauen in den Dreißigern den Höhepunkt ihrer Aktivität erreichen.
Oder vielleicht lag es daran, dass sie, seit sie in die südlichen Gefilde verschwunden war, fast jede Nacht davon geträumt hatte, mit North zu schlafen, sodass sie Verlangen nach North empfand, obwohl sie genau wusste, dass der North, den sie begehrte, eine Ausgeburt der Fantasie war.
Vielleicht war es an der Zeit, mit Will zu brechen, bis ihre Gedanken wieder in geordneten Bahnen liefen. Er war ein wirklich feiner Kerl und hatte etwas Besseres verdient. Wenn sie ehrlich war, vermisste sie ihn nicht, und das war gar kein gutes Zeichen.
Aber dazu später , dachte sie und fuhr in Richtung Universität.
In der Universitätsbibliothek des Staates Ohio fand sie einen Zeitungsartikel über eine öffentliche Diskussion über Geister. Der große, alles beherrschende Name war der des Professors aus Cincinnati namens Boston Ulrich, dessen Buch sie ausgeliehen hatte und der offensichtlich die Zuhörermenge in seinen Bann zog, indem er versicherte, dass es Geister gab, wenn auch nicht in diesen lächerlichen Formen, wie sie in Filmen vorkamen. »Sie sind wie wir«, zitierte ihn der Artikel, »nur sind sie tot.« Der Gegenpart in der Diskussionsrunde war ein weiterer Professor, ein gewisser Dennis Graff aus Cleveland, der immer wieder trocken entgegenhielt, dass es keine Beweise für wirklichen Spuk gab. Damit machte er sich nicht besonders beliebt. Andie notierte sich seinen Namen und stieß schließlich auf Kontaktinformationen. Boston Ulrich hatte nicht als Einziger über Geister geschrieben; Dennis Graff hatte viele staubtrockene Abhandlungen über übernatürliche Phänomene verfasst, von denen Andie zwei in der Bibliothek fand, die aber alle zu dem gleichen Ergebnis kamen: So etwas wie Geister gab es nicht. Obwohl einiges dazugehörte, war es Dennis Graff gelungen, das Übernatürliche zu einer trockenen, langweiligen Sache zu machen. Außerdem gab es eine Menge »Geister-Experten«, die sich, da war sich Andie ziemlich sicher, als vollkommen nutzlos herausstellen würden. Die Beste dieses ganzen Haufens, ein Medium namens Isolde Hammersmith, schrieb ihrer Kundschaft saftige Rechnungen, also schien man allgemein zu glauben, dass sie gut war. Aber das Letzte, was Andie wollte, war jemand, der glaubte, er könnte mit Geistern sprechen. Sie brauchte eher jemanden, der erklären konnte, warum Geister nicht wirklich existierten und wie man sie vortäuschen konnte oder wie man solche Halluzinationen haben konnte, oder sonst etwas in dieser Art.
Sie verließ die Bibliothek und fuhr langsam die High Street hinunter, wobei sie sich bemühte, keinen der achtlos herumschlendernden Studenten auf den Kühler zu nehmen, und gleichzeitig ihre Möglichkeiten überdachte. Vielleicht doch lieber ein Psychiater. Vielleicht spielte ihr Verstand ihr einen Streich. Oder vielleicht ein Detektiv – die Archers hatten doch direkt in Columbus eine Detektei an der Hand, die sie gelegentlich einsetzten, also sollte vielleicht jemand ein wenig ermitteln und etwas herausfinden … Etwas … etwas musste da sein …
Sie blickte auf und bemerkte, dass sie automatisch in die Fifth Street eingebogen war – eine alte Gewohnheit aus der Zeit, als sie mit North verheiratet gewesen war und diese Strecke jeden Tag gefahren war. Also bog sie, als sie die Neil Avenue erreichte, links ab. Doch als sie sich dem großen, blau gestrichenen viktorianischen Prachtbau näherte, an dessen Front auf einem geschmackvoll gemalten Schild Archer Rechtsberatung stand, verlangsamte sie ihr Tempo und fuhr dann an den Straßenrand, als der Wagen hinter ihr hupte.
In Norths Büro brannte Licht. Es war beinahe sechs Uhr, aber er war noch drinnen, das sah sie an dem erleuchteten Fenster. Wahrscheinlich saß er da schon seit vielen Stunden. Die Fenster im ersten Stock des Hauses waren dunkel, Lydia musste wohl außer Haus sein. Und die kleine Wohnung im Dachgeschoss war natürlich auch dunkel. North war nicht
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