Ohne Kuss ins Bett
gar nicht vorstellen, wieso du ihn verlassen hast. Du solltest ihn jetzt anrufen und ihn herkommen lassen .
»Ich werde einen anderen Mann heiraten«, log Andie.
May stieß ein Lachen aus. Das glaubt niemand. Selbst die da glaubt das nicht – sie wies auf die Gestalt am Fußende des Bettes –, und die hat kein Gehirn mehr. North ist es, der dein Blut in Wallung bringt. Ruf ihn hierher, und wir werden alle glücklich und zufrieden sein .
»Ich kann das alles nicht so einfach glauben«, erwiderte Andie und versuchte, das letzte Restchen Verstand nicht zu verlieren. Sie starrte das Ding an, es war ein Geist. Es war ganz eindeutig ein Geist. Und sie sprach mit einem Geist. Die beiden waren Geister. Also gab es doch Geister. Wir haben hier Geister .
May nickte. Hey, ich verstehe dich. Ich wusste nicht einmal, dass es hier Geister gibt, als ich noch lebte. Du hast mir etwas voraus .
»Na, hurra«, sagte Andie.
Geh und rufe North an. Alice ist hier in Sicherheit. Geh doch .
»Na gut.« Andie warf noch einen Blick auf Alice, die in ihre Bettdecke gewickelt ruhig schlief, und auf das hohläugige Wesen am Fußende des Bettes.
Alice ist hier in Sicherheit , wiederholte May. Dieses Ding ist schon seit ihrer Geburt bei ihr . Geh und ruf North an.
»Okay«, meinte Andie. »Ich bin bald zurück. Bis dahin … tu bitte nichts.«
Dann zog sie sich in den warmen Korridor zurück und rannte davon, um Dennis zu suchen.
Eine halbe Stunde später hatte Dennis bei einem erneuten Besuch in Alice ’ Zimmer nichts außer die normalen Sachen gesehen oder gefühlt, obwohl das Ding weiterhin genau am Fußende des Bettes schwebte. Andie stand mit ihm in dem Korridor direkt vor Alice ’ Zimmertür und hörte sich seine Erklärungen für das an, was sie dort gesehen hatte, während ihr Blick weiterhin auf dem Ding ruhte. Doch er konnte reden, solange er wollte, sie war von ihrer ursprünglich unsicheren Haltung gegenüber der Geisterfrage zu dem festen Glauben an die Existenz von Geistern gelangt. »Es sind Geister hier«, erklärte sie Dennis. »Und ich kann Alice nicht allein da drin mit diesem Ding lassen.« Sie warf einen Blick durch die geöffnete Tür auf Alice, die unter dem toten Blick der toten Gouvernante friedlich schlief. »Wenigstens sollte ich da drin bei ihr bleiben. Schließlich ist die da bei ihr.«
»Na schön.« Dennis lächelte sie an wie eine dickköpfige Studentin. »Nehmen wir einmal an, es gäbe Geister.«
»Ja, nehmen wir mal an.«
Er sah sie streng an. »Hysterie hilft gar nichts. Sie hören sich schon fast wie Kelly an. Hat dieser Geist Alice schon einmal etwas zuleide getan?«
»Der am Fußende des Bettes? Nein. Der andere Geist, May, behauptet, dass Alice in Sicherheit sei.«
»Dann ist sie das auch«, antwortete Dennis.
»Dennis, das können Sie doch gar nicht wissen, Sie glauben ja nicht einmal an sie. Ich kann mein Baby einfach nicht mit ihr allein lassen.«
»Alice ist kein Baby. Alice ist ein äußerst intelligentes, äußerst selbstständiges kleines Mädchen. Lassen Sie sie und gehen Sie zu Bett. Sie sind einfach erschöpft und haben Halluzinationen.«
»Zu Bett gehen? Wenn hier Geister im Haus sind? Ich muss doch etwas dagegen unternehmen. Die Séance. Meine Mutter behauptet, man kann Geister in einer Séance bitten zu verschwinden. Stimmt das?«
»Nun ja, bitten können Sie natürlich, aber Séancen sind Humbug«, entgegnete Dennis, und seine Bassethund-Augen rollten vor Empörung. »Damit fördern Sie lediglich das Ego und die Reputation eines Scharlatans.«
»Na gut, dann tun wir das eben«, erwiderte Andie, wandte sich der Großen Halle zu und eilte die Treppe hinunter in den ersten Stock, um Kellys Zimmer aufzusuchen.
Doch Kelly war nicht in ihrem Zimmer, und erst als Andie über das Galeriegeländer blickte, erspähte sie sie unten in der abgedunkelten Großen Halle, wo sie leise mit Bill, dem Kameramann, sprach.
»Für die Séance morgen«, rief Andie ihr über das wackelige Geländer hinweg zu, »bringen Sie Ihr Medium hierher, ich habe nichts dagegen.«
»Wunderbar!«, rief Kelly zurück. »Ach, Andie … Schätzchen … Das ist einfach wundervoll. Bill und ich haben gerade darüber gesprochen, dass Sie hoffentlich Ihre Meinung noch ändern, und jetzt sind wir so glücklich.« Sie bedachte Andie mit einem Zähneblitzen aus dem Dämmerlicht und fuhr dann mit leicht schwankender Stimme, wie leicht angeheitert, fort: »Ich werde Isolde anrufen, um alles zu bestätigen,
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