Ohne Schmerz - Kein Halleluja
genau das, was ich jetzt brauche. Kurz darauf schlüpfe ich, frisch geduscht, in eine mintgrüne Hose und ein himmelblaues,kragenloses Hemd. Mir war nach Farbe. Ein Paar bequeme Espandrilles runden mein Outfit ab und ich fühle mich rundum wohl. Bis zum Treffen mit Thomas ist noch etwas Zeit und so schlendere ich über die Plaza der Kathedrale. Mal sehen, wer alles so angekommen ist.
Schon von weitem sehe ich Mustafa, der mich gleich fragt, wo denn die Zara Filiale ist. Die Glocken läuten zur Pilgermesse. Auch ich betrete die Kathedrale, denn ganz fertig bin ich noch nicht. Ich muss noch die Statue des Apostels Jakob umarmen, denn ohne dieses Ritual ist die Pilgerei nicht vollständig. Die Kirche ist voll bis auf den letzten Platz, ich kann mich nicht erinnern, jemals eine so gut besuchte Kirche gesehen zu haben. Ich schaue mich um, viele bekannte Gesichter, ein leises Winken in jede Richtung. Donna, Katharina, die Zillertalerinnen, Claudio, ein Ehepaar aus Köln, James und Carol, Eva, Hannah, Jihae und Tracy, die im Gebet versunken ist. Ich suche mir eine ruhige Nische und lasse alles auf mich wirken. Mein Vater kommt mir in den Sinn. Ich entzünde eine Kerze für ihn und auf einmal laufen mir Tränen über das Gesicht.
Leise verlasse ich die Kathedrale. Draußen, im hellen Sonnenschein, unter strahlendblauem Himmel, ordne ich meine Gefühle. Ich bin stolz auf mich, bin dankbar für alles, was ich erlebt habe, freue mich über die guten, positiven Gefühle in mir, bin zutiefst entspannt und gleichzeitig aufgekratzt.
Noch nicht mal ansatzweise müde und mit dieser bunten Gefühlsmischung, setze ich mich zu Thomas an den Tisch der Bar, vor der er bei einer Flasche Rioja sitzt. Bei ihm sitzen zwei Frauen Anfang Vierzig, die sich als die Österreicherinnen herausstellen, die ihn vorgestern so sehr unter den Tisch getrunken haben. Im Laufe des Tages sehen wir noch viele bekannte Gesichter, als wir vor der Kathedrale sitzen oder durch die Altstadt schlendern. Die Plaza vor meinem Hotel ist voll mit Menschen, die draußen sitzen und ihren Abend bei einer Flasche Wein genießen. Auch Sini-Marja vom Camino Norte und die Müllers aus dem Allgäu sind da. Sie winken rüber, wir setzen uns dazu. „Na ihr zwei? Was stellt ihr heute noch an?“ Thomas und ich sind uns da einig. „Fiesta!“ Wir bestellen uns zwei Bier und stoßen an. „Schade dass der Franken-Helmut noch nicht hier ist!“ „Und?“ fragt Thomas. “War es das, was du erwartet hast?“
Ich überlege. „Meine einzige Erwartung an den Camino war, etwas für mich Neues zu erfahren, die Erwartung wurde auf jeden Fall voll und ganz erfüllt. Aber wenn Du mich fragst, wie ich den Weg empfunden habe…. Es war alles dabei, was eine gute Reise ausmacht.“ Eine holländische Pilgerin, die neben mir sitzt, klinkt sich ein. „Und was ist das für dich?“
„Eine gute Reise? Eine gelungene Mischung aus neuen Eindrücken, landschaftlicher Schönheit, sympathischen Menschen, neuen Freunden, guten Gesprächen, sich auch mal gedanklich mit sich selbst befassen können und nicht zuletzt einer Menge Spaß.“ Die Holländerin nickt. „Spaß ist gut, aber eben nicht alles, schon gar nicht auf dem Camino.“ Ich gebe ihr Recht. „Nenn es von mir aus Lebensfreude, Spaß trifft es genauso. Ohne Freude und Lachen und auch mal albern sein, ist auch das Stille und Besinnliche nicht viel wert.“ Sie lacht und Thomas setzt den Schlusspunkt unter die tiefgründigen Gedanken.
„Prost jetzt!! Lasst uns feiern!
Reisetagebuch, 24. Mai 2012
Santiago de Compostela
Ausgeschlafen! Bis 10.00h früh! Wir haben gefeiert, geredet, erzählt, bis in die frühen Morgenstunden. Bis zwölf muss ich auschecken, meinen Rucksack kann ich aber bei der Rezeption deponieren. Nach einem kleinen Frühstück setzen wir uns vor die Bar beim Pilgerbüro und schauen mal, wer noch so kommt. Elf Uhr Dreißig erscheint uns eine gute Uhrzeit, ein erstes Glas Wein zu bestellen. Aufgrund der frühen Stunde lieber einen Weißen. Einer der Müllers stößt dazu. Wie es sich für einen Allgäuer gehört, bestellt er sich ein Bier. Der achtzigjährige Rauschebart aus Villafranca trifft ebenfalls ein. Und dann sehe ich Karen aus dem Pilgerbüro kommen. „Karen!“ Wir sind beide gleichzeitig aufgesprungen und rufen sie herüber zu uns. Karen strahlt über das ganze Gesicht und freut sich ebenso wie wir. Wir sitzen noch eine gute Stunde beisammen und erzählen uns unsere Erlebnisse, bis Karen aufbricht, um
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