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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Art von Körperschmuck nicht einmal im Geringsten hatte erwärmen können. Ja, man konnte sogar behaupten, dass er tätowierten Zeitgenossen stets mit einer gehörigen Portion Misstrauen begegnete. Seine gegenüber dieser extravaganten Personengruppe ziemlich ausgeprägte Skepsis war das Ergebnis langer Berufsjahre, während denen er bereits zahlreiche Exemplare dieser zwar farbenfroh dekorierten, aber trotzdem sehr finsteren Gestalten als Verdächtige vor sich sitzen gehabt hatte.
    Als er gegen 10 Uhr vor der gläsernen Eingangstür stand, musste er erstaunt feststellen, dass das Tattoo-Studio noch geschlossen hatte, laut Aushang seine Pforte erst in einer halben Stunde öffnete. Nach einem kurzen Blick in das Innere des unbeleuchteten Raumes, das ihn an eine Mischung aus Bar und Frisiersalon erinnerte, betrachtete er sich noch ausgiebig die Unzahl der im Schaufenster ausgestellten Fotos, die dem Betrachter einen Überblick über alle möglichen Tattoo-Motive und die diversen Körperstellen, an denen man sich diese Tätowierungen anbringen lassen konnte, verschaffte. Aber er entdeckte auf keinem der Bilder auch nur eine annähernde Ähnlichkeit mit dem Motiv, das man auf den Körperresten der beiden Toten gefunden hatte.
    Dann beschloss er spontan, die Zeit bis zur Öffnung des Studios für einen kurzen Abstecher in ›Die Bohne‹, den kleinen, aber feinen Laden seines Espresso-Lieferanten in der Humboldtstraße zu nutzen. Sein Vorrat an den gerösteten Rohstoffen, die er für die Zubereitung seines absoluten Lieblingsgetränks benötigte – jedenfalls was die in einem höheren Temperaturbereich verkonsumierten flüssigen menschlichen Grundnahrungsmittel betraf –, ging nämlich gerade zur Neige und bedurfte dringenden Nachschubs.
    Aber wie schon so oft in seinem Leben nahm Tannenberg auch an diesem Morgen nicht den direkten Weg zum Ziel, sondern entschied sich für einen kleinen Umweg. Sein Spaziergang führte ihn in den südlichen Bereich der Kaiserslauterer Fußgängerzone, die allerdings wieder einmal nicht gerade den Eindruck einer großstädtischen Einkaufs- und Flaniermeile bot, sondern eher einer Dauer-Großbaustelle ähnelte.
    Tannenberg hatte plötzlich Lust auf eine seiner Solitär-Spielereien.
    Deshalb blieb er abrupt stehen, drehte sich um neunzig Grad, so dass seine waagrechte Körperachse genau parallel zur Häuserfront stand, warf den Kopf ins Genick, betrachtete sich die Fassaden ab Oberkante zweites Stockwerk – und musste wieder einmal resigniert feststellen, dass er gerade das Spiel verloren hatte.
    Warum? Weil er sich ehrlicherweise eingestehen musste, dass er, wenn man ihm ein Foto dessen, was er gerade sah, vorgelegt hätte, nicht in der Lage gewesen wäre, den oberen Teil dieses Hauses, an dem er im Laufe seines Lebens bestimmt schon tausendmal vorbeigegangen war, seinem aus alteingesessenen Geschäften bestehenden Unterteil richtig zuzuordnen. Er hatte sich schon des Öfteren überlegt, ob er nicht einmal der Rheinpfalz einen Wettbewerb vorschlagen sollte, der den Bürgern verdeutlichen würde, wie ausgesprochen blind sie sich durch ihre Heimatstadt bewegten.
    Sein Blick verharrte in luftiger Höhe über der Dachrinnengrenze und erfreute sich an putzigen Dachgauben, die von einer Heerschar gurrender Tauben besetzt waren; an winzigen, bunten Klappläden, die von einem schiefergedeckten Zwiebeldach gekrönt wurden; an prächtig verzierten Sandsteinfassaden- und Fenstersimsen – aber auch an den manchmal zu besichtigenden, verwitterten Gemäuern, die auf ihn stets einen besonderen, eigentümlichen Reiz ausübten.
    Richtig schmucke architektonische Kleinode! Die Leute wissen überhaupt nicht, was ihnen da für tolle optische Eindrücke entgehen! Weil diese tumben Herdentiere immer achtlos daran vorbeilaufen, sagte er zu sich selbst, während er kopfschüttelnd sein Augenpaar nach unten in die irdischen Gefilde zurückdirigierte.
    Plötzlich tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter.
    Irritiert wandte er sich um.
    „Der Herr Hauptkommissar als Hans-Guck-in-die-Luft. Sind Sie etwa zur Denkmalschutzbehörde strafversetzt worden?“, fragte Ellen Herdecke mit einem spitzbübischen Lächeln.
    „Was? … Nein“, stammelte Tannenberg.
    „Gehen Sie mit mir einen Kaffee trinken?“
    „Was? … Kaffeetrinken? … Jetzt? … Geht nicht … Ich hab einen wichtigen Termin.“
    „Schade! Na dann, vielleicht ein andermal!“
    Die aparte Frau war genauso überraschend im Meer der

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