Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
wiederholte sich Heiner.
„Der Biologielehrer hat gesagt: ›Nein, werter Herr Kollege, damit kann ich Ihnen leider nicht dienen. Ich habe nur ein Gehirn dabei. Aber das gehörte vor der Explantation einem intelligenten Menschen und würde von Ihrem Organismus todsicher umgehend als inadäquater Fremdkörper abgestoßen werden.‹ – Ist das nicht klasse?“
Tannenberg und sein Freund brusteten los, konnten sich kaum mehr beruhigen, Tränen schossen ihnen in die Augen.
Heiner dagegen blieb ganz ruhig. Er hasste bösartige Attacken gegenüber seinem Berufsstand. „Wolf, ich bin wirklich total begeistert. Wenn ihr euch endlich abgeregt habt, könnten wir ja vielleicht weiterspielen.“
Der Gerichtsmediziner beruhigte sich als Erster, schöpfte noch einmal tief Luft, bevor er sagte: „Gut. Ich will jetzt auch mal wieder Skat spielen.“
„Okay!“, entgegnete Heiner, „aber erst müsst ihr mir noch eine Frage beantworten: Wie heißt das Anagramm von Koma?“
Dr. Schönthaler entdeckte als Erster die Lösung: „Amok!“
„Sehr gut!“, lobte der Deutschlehrer.
„Amok?“, wiederholte Tannenberg ungläubig. Ein kurzes Lächeln flog ihm über die Lippen. „Das ist ja wirklich komisch: Da bezeichnet ein und dasselbe Wort, nur verkehrt herum gelesen, das völlige Gegenteil des anderen.“
„Stimmt!“, pflichtete Rainer Schönthaler bei. „Es gibt wohl kaum ein markanteres Gegensatzpaar. Das eine ist der Inbegriff der apathischen Bewegungsunfähigkeit und Hilflosigkeit, eine wahre Allegorie für das schutzlose Ausgeliefertsein an andere . Und sein Pedant ist das Synonym für blindwütigen Aktionismus und Aggressivität, das Symbol für das völlige Ausgeliefertsein der anderen .“
„Zwar wie meist etwas zu geschwollen ausgedrückt. – Aber wirklich wahr! Das ist verrückt“, sagte Tannenberg und dachte sofort an Amokläufer, von deren vernichtenden Umtrieben er schon öfter aus den Medien erfahren hatte.
Dabei erinnerte er sich an einen Wahnsinnigen, der irgendwo in Schottland oder Irland in einer Schule mehrere Dutzend Kinder massakriert hatte – und an einen Verrückten in den USA, der sich mit allen möglichen Waffen aufgerüstet in die Innenstadt begeben und dort eine blutige Spur der Verwüstung hinterlassen hatte.
„Aber kommt, lasst uns jetzt endlich wieder Skat spielen“, bettelte der Rechtsmediziner.
„Ich will nur noch mal kurz zu den Anagrammen zurück.“
„Heiner“, entgegnete Tannenberg Augen rollend mit einem derart qualvollen Gesichtsausdruck, dass sein alter Freund ihm resolut zur Seite sprang.
„Es reicht jetzt wirklich! – Bitte erbarme dich unser!“, flehte Dr. Schönthaler.
Aber der Sprachfetischist ließ sich davon nicht beeindrucken: „Wisst ihr eigentlich, was Le Fuet rückwärts gelesen ergibt?“
„Nein, Heiner, es interessiert mich auch nicht!“, stöhnte Tannenberg.
„Teufel!“
„Was Teufel?“
„Le Fuet ist das Anagramm von Teufel!“
Dr. Schönthaler schnappte sich den Kugelschreiber, der auf dem Schreibblock vor Tannenberg auf dem Tisch lag, zog den Block zu sich herüber und schrieb die beiden Worte auf. Er verglich sie miteinander. „Stimmt tatsächlich! Was es so alles gibt!“
„Teufel, so hieß doch auch dieser Revoluzzer aus der Zeit der Studentenrevolte“, sagte Tannenberg.
„Genau, das war doch der aus der berühmt-berüchtigten Kommune I.“
„Richtig, Rainer!“ Tannenberg grinste übers ganze Gesicht. „Das war der, der diese Uschi Obermeier damals abgeschleppt hatte. Mann, oh Mann, das war vielleicht ein scharfer Zahn. – Erinnert ihr euch an sie?“
Die beiden Männer nickten vielsagend.
„Aber dich, Bruderherz, haben ja andere Frauen nie interessiert. Du hattest ja damals schon diesen fürchterlichen roten Feuermelder!“
13
Donnerstag, 1. Mai
Max hörte Schritte, von einem Menschen verursachte, typische Gehbewegungen, die er eindeutig Oberschwester Rebekka zuzuordnen vermochte.
Die Frau stellte sich neben sein Bett und verharrte dort einige Sekunden regungslos.
Liest sie die Monitore der Überwachungsgeräte ab? , fragte er sich.
Ohne auch nur ein einziges Wort von sich zu geben, entfernte sich Rebekka wenige Augenblicke später wieder von Maximilians Krankenlager, begab sich zum Fenster und öffnete es mit einem leicht quietschenden Geräusch. Bereits wenige Augenblicke später spürte er, wie eine frische Prise kühler, würziger Frühlingsluft über seinen halb nackten Körper strich.
Er versuchte den
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