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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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näherte.
    Plötzlich wurde Max von wellenartigen Panikattacken heimgesucht. Es war nicht die Furcht vor diesem ihm bis vor kurzem völlig unbekannten Menschen, sondern es war die diffuse Angst vor den Gerüchen, die seinen Auftritt sehr wahrscheinlich begleiteten – und denen er auf Gedeih und Verderb schutzlos ausgeliefert sein würde.
    Der ehemalige Trippstadter Gemeindepfarrer hatte inzwischen Maximilians Bett erreicht. Er verschob den Besucherstuhl ein wenig und setzte sich direkt neben seinen Kopf. Die Riechzellen schickten sofort einen Notruf an das Gehirn mit der Bitte, umgehend die zur sensiblen Reizaufnahme vorgesehenen Schleimhautepithel einfahren zu dürfen – allerdings ohne Erfolg.
    Oh Gott, was soll ich nur machen? Wie soll ich das nur ertragen?
    Blitzschnell beamte sein Gehirn die als Beruhigung gedachte Botschaft in sein Bewusstsein, dass selbst in einem extrem stinkenden Kuhstall sich die wehleidigen Riechzellen schnell an den dort vorhandenen Gestank gewöhnten, es sich also bei der von Martin Huber ausgehenden Reizüberflutung nur um einen kurzzeitigen Schock handeln könne.
    Bei diesem mentalen Tröstungsversuch hatte Maximilians Denkmaschine allerdings etwas Entscheidendes übersehen: Im Gegensatz zu einem widerlichen Kuhstallgeruch, der eben nur aus einer Gestanksorte besteht, an die man sich sicherlich mit der Zeit gewöhnen kann, produzierte dieser alte Schnapsheilige ein wahres Gruselkabinett menschlicher Ausdünstungen.
    Die Palette reichte von einem süßlich-schalen, von jedem seiner Kleidungsstücke und von jedem seiner Hautsegmente ausströmenden Basisodeur über einen von einer Alkoholfahne überzogenen eitrig-fauligen Mundgeruch bis hin zu einem Extremgestank, der alles bisher von Max wahrgenommene in den Schatten stellte: Eine exquisite Mischung aus strengem Alkoholgeruch und säuerlichem Mageninhalt, der sich mit Hilfe eines geräuschvollen Rülpsers seinen Weg aus den Tiefen eines verrottenden Körpers ans Tageslicht bahnte. – Und das alles unterlegt mit einem leicht salmiakartigen Uringeruch.
    Aber Pfarrer Huber war ja nicht erschienen, um den hilflos ihm ausgelieferten Komapatienten mit seinem grandiosen Arsenal menschlicher Ausdünstungen zu beeindrucken, sondern er hatte sich auch in anderer Hinsicht einiges vorgenommen:
    „Guten Morgen, mein Sohn. Der Herr sei mit dir! Und bedenke: Die Wege des Herrn, unseres Erlösers, sind unergründlich. Oft handelt er so, dass wir meinen, es nicht verstehen zu können. Aber sei gewiss: Der Herr tut nichts ohne Grund! Deshalb, mein Sohn, lass ab von Zweifel und Schwermut. Auch dir harrt die Gnade Gottes.“
    Nach diesem seiner Meinung nach sehr wohlgeratenen, ersten Begrüßungsspruch nahm er den stets am Körper mitgeführten Flachmann zur Hand, öffnete den Verschluss und gönnte sich einen großen Schluck. Dann kramte er ein kleines Büchlein aus seinem verschlissenen braunen Leinensakko, blätterte kurz darin herum und sprach:
    „Höre die Losung des Tages: ›Der Herr errettet den Armen, der da schreit, und den Elenden, der keinen Helfer hat (Psalm 72,12)‹.“
    Dann brach er plötzlich ab und klappte das Büchlein zu. Irgendetwas schien ihn zu irritieren. Mühevoll erhob er sich von seinem Stuhl und schickte sich an, sein Opfer von dessen Martyrium zu erlösen, allerdings nicht ohne einen freundlichen Abschiedsgruß in seine Richtung zu murmeln: „Carpe diem, mein Sohn.“
    »Carpe diem! Das hat unser Lateinlehrer auch immer gesagt. – Nutze den Tag! Es gibt wohl zurzeit kaum einen passenderen Spruch!«, stellte Maximilian Heidenreich fest und hätte dabei ebenso gerne geschmunzelt, wie den Kopf geschüttelt. Aber beides war ihm ja leider nicht möglich.
    „So, mein liebes Bürschchen, der alte Suffkopp kriegt vom Oberschwester-Drachen seine Schnapsration und ich werd mir jetzt auch mal was richtig Gutes tun“, sagte der Krankenpfleger, ging etwas in die Hocke, ballte die Fäuste – und begann zu furzen.
    Es war wirklich kaum zu glauben, aber ohne die geringste Rücksicht auf die Örtlichkeit, an der er sich befand, entledigte sich dieses menschliche Schwein geräuschvoll seines nach außen drängenden gasförmigen Darminhaltes.
    „Verdammter Bohnenfraß!“, schimpfte er mehrmals vor sich hin, obwohl ein neutraler Beobachter sich garantiert nicht des Eindrucks hätte erwehren können, dass diesem primitiven Kerl das, was er gerade tat, ein großes Vergnügen bereitete.
    Nein, er hatte wirklich seine wahre Freude an der

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