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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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durch ärztliche Kunstfertigkeit in eine andere Existenzform transformiert wurde. Diese unterschied sich anscheinend von einem richtigen Koma vor allem dadurch, dass man sich in diesem Zustand minimal seiner Umwelt mitteilen konnte. Der Mann war dem Bericht zufolge in der Lage gewesen, sein linkes Augenlid zu bewegen und auf diese höchst originelle Art und Weise mit seiner Außenwelt zu kommunizieren.
    Nun war das Besondere an diesem Herrn aber nicht die Tatsache, dass er diese Fähigkeit besaß, sondern was er damit vollbrachte: Laut Angaben seines Verlages diktierte er nämlich ein 140-seitiges Buch über seine Erfahrungen, Gedanken, Träume, Wünsche usw. Natürlich stürzten sich die Medien sofort auf diese herzerweichende Story. Das Buch wurde in kürzester Zeit ein grandioser Bestseller-Erfolg. Allerdings kam der ungewöhnliche Autor nicht mehr dazu, seinen literarischen Erfolg zu genießen, denn er starb kurz vor der Fertigstellung seines Werkes.
    Natürlich befriedigte die Reporterin den Voyeurismus der Zuhörer dadurch, dass sie alle möglichen unbedeutenden Statisten dieses makaberen Trauerspiels interviewte, dabei kein Klischee ausließ und keine der noch so abgedroschensten sentimentalen Metaphern bei der rührseligen Darstellung dieser Geschichte aussparte.
    Gegen Ende des Artikels, in dem der skurrile Buchautor mehrfach verkündete, dass es ihn sehr verwundere, wie gelassen er angesichts seines Schicksals doch sei, waren noch einige Zitate aus dem Buch abgedruckt gewesen.
    Max erinnerte sich noch sehr gut an den letzten Satz des Zeitungsberichts, bei dem es sich um ein Original-Zitat handelte und das vom Autor angeblich als Art Vermächtnis gedacht gewesen war: ›Macht weiter, aber werdet nicht Gefangene eurer eigenen Rastlosigkeit. Auch Bewegungslosigkeit ist eine Quelle der Freude‹, stand da doch tatsächlich geschrieben.
    Max hatte zwar damals schon verständnislos den Kopf geschüttelt und hätte dies jetzt gerne noch intensiver getan, aber leider war er dazu nicht in der Lage.
    Der konnte wenigstens mit einem Augenlid zucken und auf diesem mühevollen Weg Kontakt zu seiner Umwelt herstellen. Noch nicht einmal das kann ich – verdammt!, schimpfte er los, ohne dass er auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, dass ihn jemand hätte hören können.
    In der Zwischenzeit hatte es sich der ehemalige Trippstadter Gemeindepfarrer neben ihm gemütlich gemacht und hatte ihm sogar, nachdem er sich einen kräftigen Schluck flüssiges Manna einverleibt hatte, ein Gedicht vorgetragen – das angeblich von Martin Luther höchstpersönlich stammte:
     
    „Erst wenn sich leicht die Sinne trüben,
    Kann man gut dem Schöpfer dienen.
    Lässt sich doch der Herr am besten loben,
    Wenn im Kopf des Weines Geister toben.“
     
    Die leidige Sache mit der künstlichen Beatmung war zwar sehr unangenehm und schmerzhaft, bot jedoch auch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil hinsichtlich der unappetitlichen Kloakenwolke, die den verwahrlosten alten Pfarrer anhänglich wie ein aufgeschreckter Bienenschwarm durchs Leben begleitete.
    Martin Huber schien an diesem Abend zu wahren seelsorgerischen Höchstleistungen im Stande zu sein: „Zweifle nicht an Gott! Er hat dich zwar in einen dunklen Keller geworfen, aber er kann dir auch leuchten. Ja, er kann dich sogar aus deinem Verlies befreien. Dann erst gibt der Herr dir seine Hand und geleitet dich sicher aus der Finsternis. – Höre die Losung des Tages, den Psalm 146, 8: ›Der Herr richtet auf, die niedergeschlagen sind.‹ Denn vertrauen wir auf Gott, werden wir gefasst, still und geduldig. Denn der Herr gibt uns gerade dann unerwartet Kraft, wenn er unvermutet Prüfungen schickt, dann hilft er uns, unser schwaches Ich zu überwinden. Meine eigene Schwäche macht mich furchtsam, aber die Verheißung Gottes macht mich tapfer. Herr, stärke mich nach deinem Wort.“
    Dann legte er eine Verschnaufpause ein, musste sich erst ein wenig sammeln, bevor er fortfuhr: „Mein Sohn, du siehst, selbst in den Zeiten der Finsternis gibt es Hoffnung. Vertraue also auf den Herrn, unseren Schöpfer und Erlöser, denn der Herr ist mit dir! Du denkst sicher: Mein Herz ist müde und matt; wann wird endlich der Tag kommen und das Dunkel der Nacht weichen? Ja? Dann denke an den Herrn! Gedenke, wie barmherzig und mitleidig er ist; wie er nie zu heftig schlägt und wie er nie vergisst, dich zu trösten und aufrecht zu halten! Denke an seine Macht. Du selbst kannst dir nicht aus der Not

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