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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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körperlichen Veränderungen: Der gesamte Organismus wurde merklich sensibler, unruhiger, so als ob dieser seine sensorischen Empfangsantennen stärker ausgefahren hätte. Die seltsamen Empfindungen, die sich Maximilians Körper immer deutlicher bemächtigten, waren schwer zu beschreiben.
    Er hatte das Gefühl, von oben bis unten in eine mit tausenden winzigkleinen Nägeln bestückte riesige Decke eingewickelt zu werden, deren Berührung auf der Haut viele unangenehme, schmerzhaft pieksende Nervenreizungen hervorrief. Zeitgleich mit dieser merkwürdigen körperlichen Wahrnehmung breitete sich in seinem Zimmer eine diffuse atmosphärische Spannung aus.
    Er spürte diese Veränderungen mit seinem ganzen Körper, aber die einzige bildliche Assoziation, die sich mit einem grellen Lichtflackern in sein Gehirn drängte, war ein leerer Raum, der mit unendlich vielen kleinen rot aufleuchtenden, sich schnell hin- und herbewegenden und gleich wieder verglimmenden Punkten durchsetzt war.
    Plötzlich vernahm er ein dumpfes, rumorendes Donnergrollen aus Richtung des Fensters, das sich, stetig geräuschvoller und dadurch aufdringlicher werdend, mehrmals wiederholte und dann von einem, trotz der schalldämmenden Scheiben laut hörbaren Krachen unterbrochen wurde.
    Es waren anscheinend mehrere starke Gewitter, die direkt über dem Krankenhaus aufeinandergetroffen waren.
    Die atmosphärischen Spannungen verdichteten sich immer stärker. Die unbändigen Kräfte der sich austobenden Naturgewalten schienen wie ein nasser Schwamm die gesamte Energie der näheren Umgebung aufzusaugen und sie in ihrem gierigen Schlund zu einem gigantischen Energiebrocken zusammenzuballen, um diesen dann urplötzlich wieder auszuspeien.
    Gewaltige elektrische Entladungen produzierten eine besorgniserregende laut polternde Lärmorgie.
    Starker Wind kam auf, der pfeifend um das mächtige Barockschloss strich. Zu diesem geräuschvollen akustischen Szenario gesellten sich nun auch noch Klopftöne, die von den, zuerst noch vereinzelt, später in Unmengen schräg auf die Fensterscheibe niederprasselnden dicken Regentropfen erzeugt wurden.
    Vielleicht waren es aber auch Hagelkörner, die sich hoch oben in den Wolken dazu entschlossen hatten, etwas akustische Abwechslung in das triste Dasein der bemitleidenswerten Patienten der Schlossklinik zu bringen. Aufgrund des böigen Windes veränderte das prasselnde Rauschen in einem bestimmten zeitlichen Rhythmus seine Intensität.
    Eine Melodie entstand, eine ihm bekannte Melodie, gesungen von tausenden kleinen Hagelkörnern: ›Freude schöner Götterfunken …‹ Er konnte es wirklich kaum glauben, aber es war tatsächlich eindeutig die Melodie der ›Ode an die Freude‹ aus Beethovens 9. Symphonie.
›Was zürnst du mir mit einem Mal,
Du ferner Sphären Göttermacht;
Lässt mich allein in dunkler Nacht?
Was hab ich dir nur angetan,
Dass du in deinem irren Wahn,
Dich froh ergötzt an meiner Qual?
›Freude schöner Götterfunken‹ -
Wie war ich früher oft versunken,
Verzaubert ganz durch wundersame Klänge,
Tief eingetaucht in kosmische Gesänge.

Welch ein Genie – der dieses schuf!

Doch jetzt in meiner letzten Stunde,
Erscheint mir diese frohe Kunde,
Eher wie aus einem Satansbuch
Oder wie ein wüster Götterfluch.
Fast will es mir erscheinen,
Als wollten Mächte sich vereinen,
Um mit frostigblauen Händen,
Mein schönes Leben zu beenden.

Göttlich Ironie – mit Teufelshuf!‹
    Was geht denn jetzt ab?
    Er hatte dieses Gedicht vorher noch nie gehört.
    Wo kommt das nun plötzlich her? Hab ich es vielleicht doch irgendwann früher schon einmal irgendwo gelesen, es aber wieder vollständig vergessen? Oder hab ich es mir eben gerade selbst zusammengereimt? Aber wieso?
    Plötzlich sah er einen alten Mann sein Zimmer betreten. Das Beeindruckendste an dieser überraschenden Erscheinung war dessen ungewöhnlich volles lockiges Haar, das ihm bis auf die Schultern hing. Er sagte irgend- etwas, das Max allerdings nicht verstand.
    Plötzlich riss dieser Mann, der ihn irgendwie an Struwelpeter erinnerte, beide Arme nach oben und begann zu dirigieren, während zeitgleich aus den Wänden, den Fluren, dem Boden und der Decke engelsgleiche Gestalten traten, die sofort die Münder aufrissen und zu singen anfingen. Natürlich! Es war der Meister selbst, der die von ihm komponierte ‹Ode an die Freude‹ dirigierte.
    Der Engelschor wurde immer lauter.
    Maximilian hob den Kopf, blickte sich um und sah direkt vor sich ein

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