Ohnmachtspiele
nicht gemeint. Eher dass … also, wenn wir beide längere Zeit irgendwo sind, dann hätten wir sicher bald einen Fall am Hals … Patient stirbt unter mysteriösen Umständen …“
„Du schaust zu viel Columbo“, brachte sich Isabelle ein, worauf sich Kamp überrascht umdrehte.
„Ihr duzt euch?“
„Ach …“ Schäfer wusste nicht, was sagen.
„So ein Fall schweißt eben zusammen“, half ihm Isabelle.
„Ja“, meinte Kamp leicht verwirrt, „also: Gratulation jedenfalls … an Sie alle … das war … das war nicht leicht … draußen wartet übrigens ein Bekannter von Ihnen, ein Journalist …“
„Gerhard?“
„Kann sein“, erwiderte Kamp, „ich habe ihm gesagt, dass er sich noch ein wenig gedulden muss …“
„Das wird noch was werden“, meinte Schäfer, „die ganzen Berichte … die Presse … die interne …“
„Kein Problem“, erwiderte der Oberst, „Sie gehen jetzt sowieso auf Urlaub. Für diese administrativen Aufgaben finden wir schon jemanden … oder, Chefinspektor?“
„Bestimmt“, seufzte Bergmann, „mit dem Personalüberschuss, den wir dank dieses Falls haben …“
Nach dem Abendessen kam der Oberarzt vorbei und fragte ihn, wie er sich fühle. Müde, erschöpft; aber ansonsten gut; besser als in den letzten paar Wochen. Die Tabletten, die er genommen hatte, wären keine Lutschpastillen, damit müsse er vorsichtig sein. Natürlich. Wann er denn nach Hause gehen könne. Was seinen körperlichen Zustand betraf: am nächsten Tag. Bis auf eine Unterkühlung, eine leichte Gehirnerschütterung und ein paar Abschürfungen war ihm ja nichts passiert. Aber er hätte ganz gerne, dass Schäfer mit dem Psychiater spräche. In seinem ohnehin labilen Zustand; dann so eine traumatische Erfahrung; Todesangst; das sollte er nicht auf die leichte Schulter nehmen. Er hätte ohnehin einen fähigen Therapeuten; mit dem würde er das schon in den Griff kriegen. Der Arzt sah ihn zweifelnd an, wünschte ihm eine gute Nacht und verließ das Zimmer. Gleich darauf griff Schäfer zur Fernbedienung und drehte den Fernseher auf. Die Bilder flimmerten über seine Netzhaut, ohne weitergeleitet zu werden. Er war so müde. Wann würde er sich endlich wieder kräftig und lebendig fühlen? Gut zwei Monate waren vergangen, seit sie Sonja Ziermann am Alberner Hafen gefunden hatten. Monate, die er mehr überlebt als gelebt hatte. War eigentlich seine Dienstwaffe im Schrank? Doch wer sollte ihm jetzt noch etwas anhaben wollen. Für einen Moment hatte Schäfer die Vorstellung, dass Lopotka im Zimmer neben ihm lag: benommen von der Narkose, mit Schmerzen, die kein Opiat würde wegnehmen können. Das verlassene Kind; der heimatlose Junge; der verlorene Mann. Dieses Monster, bemühte sich Schäfer, sein Mitgefühl zu ersticken. Er dachte an die beiden jungen Frauen, die er auf dem Aluminiumtisch der Gerichtsmedizin hatte liegen sehen. Ziermann, der am Verlust seiner Königin zerbrach. Rudenz, dem seine Heirat zuerst Unglück und dann den Tod gebracht hatte. Er trieb in das Reich zwischen Wachheit und Schlaf ab; sah Irene Chlapec, die ihm trotz der Einschüsse in der Brust zulächelte und winkte; als ob ihr erst die Klärung des Falles das Recht gäbe, ins Land der Toten zu gehen; Tränen rannen Schäfer über die Wangen; da war der Schweizer, der die Jackenärmel hochschob und den Motor des Ärztewagens instand setzte; die Hände voll schwarzer Schmiere, die Unterarme voller Einstiche; später würden die Füchse an seiner Leiche nagen. Maurer, den Schäfer nie zu Gesicht bekommen hatte: ein verlorenes Kind, ein verführter junger Mann, ein verzweifelter Liebender. Und Lopotka? In der Stille des Zimmers, die Schäfer jetzt unheimlich erschien, löste sich die Grenze zwischen Schuld und Unschuld. Er weinte. Wegen der scheinbaren Sinnlosigkeit des Sterbens, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Wegen der eigenen Verluste, die er nicht benennen konnte.
Er schlief ein und wachte wieder auf, ohne zu wissen, wie spät es war. Dankbar lächelte er die Krankenschwester an, die mit dem Einschalten des Lichts diese endlose Nacht beendete. Es musste vielen so gehen; warum sonst würden sie das Frühstück so früh servieren? Mit großem Appetit machte er sich über den Obstsalat, die frischen Semmeln, das weiche Ei und das Kännchen Kaffee her. Das war doch kein Standardfrühstück; das hatte bestimmt Kamp veranlasst. Nachdem die Schwester das Geschirr abgeräumt hatte, schlich Schäfer in einen Aufenthaltsraum am Ende
Weitere Kostenlose Bücher