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Ohnmachtspiele

Ohnmachtspiele

Titel: Ohnmachtspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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des Flurs, wo er einen Pfleger um eine Zigarette bat. Die anwesenden drei Männer begegneten ihm mit großem Respekt; ach ja, er hatte diese beiden Mörder überführt; dass die Version, mit der die Medien zurzeit Auflagen schindeten, sich nicht mit der Wahrheit deckte, musste er ja noch niemandem erzählen; ja, er war wohl wieder einmal für kurze Zeit ein Held. Bei der Vormittagsvisite teilte er dem Oberarzt mit, dass er das Krankenhaus verlassen wolle. Dazu müsse er einen Revers unterschreiben; nach medizinischer Auffassung wäre sein Zustand zwar stabil, doch eine psychiatrische Untersuchung unbedingt anzuraten.
    „Im Krankenhaus sterben die Leute“, meinte Schäfer und stand schon am Kasten, um seinen verdreckten Mantel herauszuholen, „hat schon meine Oma immer gesagt … die war bestimmt noch verrückter als ich und ist dreiundneunzig geworden.“
    Der Oberarzt seufzte und gab der Krankenschwester auf, ihm das entsprechende Formular zu bringen.
    „Wie heißt Ihr Therapeut?“
    „Breuer … im Neunten.“
    „Ah“, meinte der Arzt erleichtert, „da sind Sie ja in guten Händen.“
    Als Schäfer auf den Klinikvorplatz trat, brach die Sonne durch den Hochnebel. Er hielt das Gesicht ins Licht und schloss für einen Moment die Augen. Den Radweg entlang schlenderte er zur übernächsten U-Bahn-Station. Stoßzeit – der Bahnsteig war voll von Menschen. Schäfer stieg in die U-Bahn. Er hatte keine Angst.

39
    Nicht nur weil er drei Stationen früher ausgestiegen war, erschien Schäfer der Weg ins Kriminalamt wie eine lange, aber geruhsame Wanderung. Er gab sich Zeit, widmete sich seiner Umgebung, die sich dafür mit Augenblicken seliger Wahrhaftigkeit revanchierte. Im Grünstreifen zwischen Straße und Gehweg stand eine Taube inmitten einer kleinen Insel von ausgeschütteten Brotkrumen. Um sie herum vollführten ein paar Spatzen einen aufgeregten Tanz, der die Taube so nervös machte, dass sie den kleinen flinken Vögeln verzweifelt nachtippelte, um sie für den Mundraub zu bestrafen, und darüber selbst das Fressen vergaß. Kurz darauf stürmte ein Retriever heran und machte seine Sicht der Dinge klar. Als Schäfer auf eine Kreuzung zukam, schaltete die Fußgängerampel gerade auf Grün. Er ging langsamer, wartete, bis das Licht blinkte und wieder auf Rot sprang. Die Hände in den Manteltaschen sah er auf der anderen Seite eine junge Mutter, die sich zu ihrer kleinen Tochter hinabbückte und ihr die Nase putzte. Grün. Beim Überqueren des Zebrastreifens achtete er darauf, nur die weißen Felder zu betreten. Die junge Frau sah ihn mit einem unsicheren Lächeln an – erdverkrusteter Mantel und seltsame Spiele, das war wohl etwas zu viel. Das ist kein Dreck, das ist die Gabe des befriedeten Schlachtfelds, murmelte er, die Lorbeeren aus dem Dehnepark – das ist der Schatz vom Silberteich! Schäfer erinnerte sich, wie schaurig erregt sein Bruder Jakob und er vor dem Fernseher gesessen waren, als Winnetou und seine treuen Gefährten auf dem Weg zum Silbersee durch die Schlucht reiten mussten, in der Hunderte heimtückische Schlangen auf ihre Opfer warteten. Und wenn ich auch wanderte im finsteren Todestal, so fürchte ich kein Unglück. Denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Dein Stab die trösten mich.
    In der Trafik gegenüber dem Kriminalamt, in der Schäfer Zigaretten und Tageszeitungen kaufen wollte, gab ihm der Trafikant mit einem aufgeregten Fuchteln und entsprechender Mimik zu verstehen, dass er bitte warten möge, bis die anderen Kunden das Geschäft verlassen hätten. Als es zehn Minuten später so weit war – bis dahin hatten sich die Kunden die Klinke in die Hand gegeben –, trat der Trafikant hinter dem Verkaufspult hervor und begrüßte Schäfer, indem er ihm die Hand gab und die andere um seinen Unterarm legte. Was für eine Ehre! Als ob Schäfer nicht fast jeden Tag dort erschiene. Ob er denn gewusst hätte, dass seine Frau mit Mädchennamen Sommer hieß? Na, er könne sich bestimmt vorstellen, wie erleichtert sie jetzt beide seien. Nicht auszudenken! Dass so was in Amerika, wo so was ja an der Tagesordnung wäre … aber bei ihnen in Wien … weit ist es gekommen, kein Wunder bei den vielen Ausländern, aber zum Glück gäbe es noch Leute wie ihn, die diesem Gesindel zeigten, wo der Bartl den Most holt. Schäfer brachte weder die Energie auf, den Trafikanten darüber aufzuklären, dass es sich in diesem Fall um zwei heimische Täter handelte, noch zu gestehen, dass die Theorie der Spielkarten

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