Ohnmachtspiele
schön … und wo erreiche ich den Fahrer? … Ich habe geglaubt, die fahren immer die gleiche Strecke … Verstehe … Abwechslung ist gut, ja … Vielen Dank, meine Liebe … Ich schulde dir was … Na, jetzt werde nicht frivol, du sprichst mit einem hochrangigen Beamten der österreichischen Exekutivgewalt … Servus.“
Nachdem er Bergmann angerufen und ihn gebeten hatte, ihm ein Foto ans Handy zu senden, stand er auf und machte sich, eine volkstümliche Tiroler Weise pfeifend, auf den Weg zur U-Bahn. Am Praterstern stieg er aus und ging zur Bushaltestelle, wo er einen Linienbus bestieg und sich in die Sitzreihe hinter den Fahrer setzte. Nach einer halben Stunde waren sie an der Endstation angelangt. Der Fahrer stellte den Motor ab, zog seinen Anorak an und verließ mit den Fahrgästen den Bus. Als er die Tür verriegelte, stellte sich Schäfer vor und ersuchte ihn um ein paar Minuten seiner Zeit.
„Gehen Sie auf einen Kaffee mit“, erwiderte der Mann, „eine Viertelstunde habe ich, dann muss ich wieder weiter.“
Sie querten die Straße, betraten ein Billardcafé und stellten sich an die Bar.
„Es geht um einen Mann, der immer wieder auf Ihrer Route unterwegs ist“, erklärte Schäfer und holte sein Handy heraus. Er öffnete die Bilddatei, die ihm Bergmann gesendet hatte, und reichte dem Mann das Telefon.
„Nein“, erwiderte der Mann kopfschüttelnd, nachdem er das Bild eingehend betrachtet hatte, „der sagt mir gar nichts … aber ich bin auch nicht der einzige Fahrer auf dieser Linie …“
„Natürlich“, meinte Schäfer und nahm das Handy wieder an sich. Wäre auch zu schön gewesen. Aber dass sich ein Busfahrer nach ein paar Monaten noch an jeden Fahrgast eines bestimmten Tages erinnert, war auch eine sehr verwegene Hoffnung gewesen.
„Sie wollen wissen, ob der zu einer bestimmten Uhrzeit im Bus gesessen ist“, schloss der Fahrer, riss das Zuckersäckchen auf und leerte es in seinen Kaffee. Schäfer hatte sich nach einem Blick hinter die Bar für ein Mineralwasser entschieden und trank aus der Flasche.
„Ja … aber ich glaube, das kann ich jetzt vergessen.“
„Hm … eine Möglichkeit gibt’s vielleicht doch“, meinte der Fahrer, dem diese Herausforderung sichtlich Spaß zu machen begann. Schäfer sah ihn fragend an.
„Er muss zweimal umsteigen, bevor er den Sechsundsiebziger nimmt … am Westbahnhof in die U3 … dann am Enkplatz …“
Schäfer nickte zustimmend, weil er dem Mann in diesen Belangen ohnehin glauben musste.
„Westbahnhof können’S vergessen … da geht’s zu wie am Sonntag im Prater … aber wenn er am Enkplatz zur Haltestelle geht, kommt er bei zwei Kameras von uns vorbei … und in der Mannswörther Straße halte ich bei einer Computerfirma, die das ganze Gelände überwachen … Amerikaner … wenn Sie Glück haben …“
„Sie sollten sich umschulen lassen“, meinte Schäfer grinsend.
„Ach, Schmarrn“, winkte der Mann ab, „mich haben’s schon beim Bundesheer nicht genommen … hoffentlich kriegen Sie nie eine Waffe in die Hand, hat der bei der Musterung gemeint … ich hoffe auch nicht, habe ich gesagt … ja … ich fahre eh gern Bus …“
Als Schäfer wieder in der Innenstadt war, setzte er sich in ein Gasthaus und bestellte ein Gulasch. Das mit dem Essen musste er in den Griff bekommen; nicht immer warten, bis ihm vor Hunger schwindlig wurde.
Er nahm sein Handy heraus und rief seine Bekannte bei den Wiener Linien an. Hoffentlich ging das mit den Videoaufzeichnungen ohne einen richterlichen Befehl. Er hatte keine Lust auf Begründungen, plausible Verdachtsmomente und den ganzen Quatsch. Es war ohnehin schon ungewiss genug, ob die Bänder überhaupt noch existierten und nicht schon gelöscht worden waren.
„Drei Monate behaltet ihr die auf? … Das geht sich aus … Und an wen darf ich mich da vertrauensvoll wenden? … Das dürfte doch für dich kein Problem sein … Also, wenn es einmal einen Mitarbeiterkalender der Verkehrsbetriebe gibt, dann gehörst du aufs Titelblatt, meine Schöne … Ja, warte, ich schreibe es auf eine Serviette … Und wie heißt der? … Beckmann … Danke dir, ich bin dir was schuldig.“
Der Kellner stellte das Gulasch ab, Schäfer machte sich darüber her wie ein Bettler, der sich nach einem ganzen Tag auf Almosenjagd endlich eine warme Mahlzeit leisten konnte. In Anbetracht seines Mantels käme manch anderem Gast wohl genau dieser Gedanke. Wie hatte er überhaupt so aus dem Haus gehen können? Als ob er
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