Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ohnmachtspiele

Ohnmachtspiele

Titel: Ohnmachtspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
Vom Netzwerk:
unterstützen. Außerdem war die Präsenz des Mannes an diesem Ort kein Beweis. Er konnte genug Gründe anführen, warum er sich an diesem Ort aufgehalten hatte. Nur nichts überstürzen, Schäferchen, mahnte er sich, schlaf darüber und dann sehen wir weiter.

41
    Eine alte Fahrradkette, ein Feuerzeug in Form eines Schweinekopfes, eine kaputte Spieluhr, ein Ladegerät, eine Fernbedienung für … es dauerte eine Ewigkeit, bis Schäfer den Schlüssel für die Handschellen gefunden hatte. Wann hatte er die Dinger denn zum letzten Mal verwendet; wahrscheinlich würde er sie auch an diesem Tag nicht brauchen. Nein, der Mann war nicht der Typ dafür, plötzlich abzuhauen. Vielleicht gab es für das alles auch eine ganz andere Erklärung. Nicht, dass Schäfer daran glaubte – aber in den letzten Monaten hatte er sich oft genug getäuscht, als dass sein Vertrauen in sich selbst nicht ein paar Bruchstellen erhalten hätte. Aus seiner Serientätertheorie war ein fast banales Verbrechen geworden – ein Mord aus Gier, ein zweiter aus Angst vor dem Entdecktwerden. Matthias Rudenz sinnloses Opfer eines fehlgeleiteten Racheakts. Der Schweizer verreckt an einer Überdosis. Und jetzt Sonja Ziermann: Auch wenn Schäfer ihren Mörder zu kennen glaubte, war er sich über das Motiv noch nicht im Klaren. Er hatte eine Ahnung, mehr nicht.
    Er frühstückte ausgiebig, verließ das Haus erst kurz vor zehn, nahm die U3 bis zum Westbahnhof und stieg dann in die U6 um. Bei der Volksoper stieg er aus und ging die Währinger Straße stadtauswärts. Knapp zehn Minuten später betrat er das Geschäft. Ein heller Glockenklang hallte durch den Verkaufsraum. Keine Kunden, kein Personal, nur Stille, ein schweigsames Echo der Vergangenheit, dachte Schäfer, als er seinen Blick über die alten Bücher gleiten ließ, die in Regalen aus dunklem Holz standen, bis zur Decke hinauf, eine hölzerne Klappleiter, um die Exemplare in den obersten Reihen erreichen zu können, Schäfer hörte eine Klospülung, dann Schritte aus dem Hinterraum.
    „Grüß Gott, Herr Albrecht.“
    Der Antiquar, den Schäfer zuletzt Anfang November am Alberner Hafen getroffen hatte, nahm seine Lesebrille ab und sah seinen Besucher schweigend an, bevor er den Blick zu Boden senkte.
    „Soll ich … darf ich uns davor noch einen Tee machen?“, fragte er so leise, dass Schäfer ihn kaum hören konnte.
    „Ja.“
    Schäfer folgte Hans Albrecht ins Hinterzimmer, einem bestimmt dreißig Quadratmeter großen Raum, der allerdings mit riesigen Folianten, alten Magazinen, zusammengerollten Karten und anderen Zeugen der Vergangenheit so vollgepackt war, dass der Ebenholztisch in der Mitte des Raums gerade einmal zwei Besuchern Platz bot. Albrecht schob die Unterlagen auf dem Tisch zu einem unordentlichen Stapel zusammen und bat Schäfer, sich zu setzen. Dann nahm er einen Eisentopf von einer Anrichte und verschwand zwischen zwei Regalen. Schäfer hörte, wie Albrecht den Topf mit Wasser füllte. Ein paar Minuten hörte er das Wasser rauschen, er stellte sich vor, wie der Mann über der Spüle stand, in den überlaufenden Topf starrte und darin das Gesicht von Sonja Ziermann sah. Albrecht kam mit geröteten Augen zurück, stellte den Topf wieder in die Anrichte, sah sich verloren um, verschwand abermals zwischen den Regalen und kam mit einem silbernen Tauchsieder wieder, den er einsteckte und in den Topf hängte. Schäfer wurde schläfrig. Er stand auf, zog seine Jacke aus und hängte sie über den Stuhl. Machte ein paar Schritte zu einem Regal und sah sich die Buchrücken an. Er wollte zornig sein, ausrasten, in der zeugenlosen Stille dieser Kammer dem Mann Seite um Seite seiner vergilbten Schinken in den Rachen stopfen, bis er daran erstickte. Doch er war nur müde und zunehmend traurig.
    „Ich habe seither jeden Tag daran gedacht, mir das Leben zu nehmen …“, holte Albrecht ihn aus seiner Versenkung.
    „Das macht Sie nicht weniger schuldig“, erwiderte Schäfer und setzte sich, nachdem Albrecht zwei Tassen, Milch und Zucker auf den Tisch gestellt hatte.
    „Ich weiß.“ Albrecht schaute zur Anrichte, wo das kochende Wasser über den Topf spritzte, stand auf und zog den Stecker. Er nahm ein Teeei, füllte es aus einer runden schwarzen Dose, auf der in goldener Schreibschrift Darjeeling stand, hängte es in die Teekanne und goss das Wasser hinein.
    „Ich bin froh, dass Sie gekommen sind … und nicht ein anderer.“ Als Schäfer nichts erwiderte, fuhr Albrecht fort: „Weil Sie

Weitere Kostenlose Bücher