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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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unvorhanden. Einzig vorhanden zeigten sich meine Hände. Es schien unpassend, sie in die Hosentaschen zu tun, auch paßten sie da nicht hinein. An meinen Seiten drohte ihr Gewicht, mich ins Parkett zu ziehen.
    Just wie ich mich fragte, ob ich meine Sohlen, die aus heißem Blei gefertigt schienen, von den Dielen reißen und meinen sperrigen Leib rückwärts durch die Tür bringen könne, erfuhr meinGenosse Strickland aus dem Himmel über Berlin, es sei an der Zeit, ein passendes Wort an mich zu richten. Es lautete: »Was willst du?«
    »Sagen, daß es an der Schule nicht mehr ging.«
    »Was noch?«
    »Nichts weiter.«
    »Erledigt«, sagte Wilhelm Strickland und schlug die Deckel meiner dünnen Akte gegeneinander. Es klang wie der Schuß, den ich nicht wert war.
    Solche Zeichen verboten wortreichen Abschied; überdies hatte Genosse Wilhelm Strickland die Augen wieder in den Wolken über dem Bülowplatz.
    »Den Einlaßschein«, sagte der Aufschreiber. Es klang nach Bedauern, weil es auch ein Auslaßschein war. Er trug die Uhrzeit ein und ging vor mir durch die Tür. Erst als ich folgen wollte, fragte Wilhelm Strickland: »Wohin jetzt?«
    »Ich hörte, sie suchen Drucker.«
    »Warum nicht zur Wismut?«
    »Da soll es wie Lager sein.«
    »Sagt das der RIAS?«
    »Von der Schule welche sagen es.«
    »Und die haben es vom RIAS?«
    »Sie waren in Aue.«
    »Also gehst du wohin?«
    »In meinen Beruf zurück, in einen kleinen Betrieb, vielleicht als Schweizerdegen«, hörte ich mich sagen. Wodurch ich aus allererster Hand erfuhr, wohin es mit mir gehen sollte. Meinen Genossen Strickland ließ ich wissen, ich wolle eine kleine Bude suchen; in großen komme ich zu leicht in Schwierigkeiten.
    »Er will lieber dies, er kommt leicht in das!« sagte ein aufgebrachtes Mitglied des Parteivorstands und fragte, als sähe es mein übergroßes Abzeichen nicht: »Mit der Haltung willst du in die Partei?«
    »Ich bin schon drin.«
    »Und willst drin bleiben?«
    »Versuchen kann ich es.«
    »Das versuche einmal«, sagte Wilhelm Strickland und wandte mir für die nächsten zehn Jahre den Rücken zu.
    Statt des Pförtners amtierte eine Pförtnerin, die mir erlaubte, meinen Koffer bei ihr zu lassen. Ich solle aber nicht in die Münzstraße gehen und ihn vergessen.
    Soviel Berliner war ich schon, soviel Filmfreund lange, daß ich die Kinos in der Münzstraße kannte. Wer mich derart verstand, hatte Anspruch auf Auskunft. Ich wolle Arbeit suchen und ein Zimmer, sagte ich und fügte, um bei der wachen Frau keine Verwunderung aufkommen zu lassen, hinzu, ich sei Konditor.
    »O je!« seufzte sie. Es galt dem Konditor in der brotlosen Stadt, und ihr Nachdenken galt meinem Wohl. Für den Übergang wisse sie vielleicht eine Bleibe. Nur seien es schwierige Leute.
    »Mit solchen bin ich gut«, sprach ich; es war die reine Wahrheit. Schwierige Leute sperrten mich ein; jetzt suchten mich andere auszusperren. Die Welt schien voll von schwierigen Leuten, aber schwierig wie die war ich schon lange.
    Die Pförtnerin gab mir eine Adresse und riet zum Stellenaushang in der Rathauspassage. Vielleicht sei schon die Zeit der Torten, und sie habe es nur nicht gemerkt. Aber auch den Anschlägen in der Theaterkasse zufolge war die Zeit der Torten noch nicht. Dafür suchte eine fußmarschnahe Firma Moeller & Moeller einen erfahrenen Schriftsetzer.
    Herr Moeller sah in den Gesellenbrief, und Frau Moeller besah mein Parteiabzeichen. Als Herr Friedrich Moeller den Namen meines Lehrmeisters gelesen hatte, war ich so gut wie in Lohn und Brot. Aber Frau Friederike Moeller deutete auf meinen Rockaufschlag und sagte, was das betreffe, seien sie mehr am Markt orientiert.
    Mir war es im Augenblick gleich; die Arbeitsstelle lag günstig, die Arbeit würde mir liegen, der Wochenlohn leuchtete ein, und als ich erfuhr, daß mit uns dreien alle handelnden Personen der Firma Moeller & Moeller versammelt waren, wußte ich mich an der richtigen Stelle. In einem solchen Haus hatte ich gelernt; ortsversetzt konnte ich weitermachen, was ich kannte. Gemeinsamkeit drohte nicht, weil die mit Inhabern nicht zu haben war. Kein Antreten und Wegtreten. Kein Abstimmen und Zustimmen, keine Gegenstimmen, nur Stimmenthaltung.Kein Vordermann, kein Hintermann, lediglich Obere und Eigner. Kein Barackenältester oder Altgeselle. Kein Schichtführer oder führender Genosse. Kein Rangeln um vordere Plätze, keines um hintere. Für mich allein der Tisch, das Buch, der Zuber, der Trog, die Meinung. Für mich

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