Okarina: Roman (German Edition)
allein der Kahn und das Stakholz. Ich allein wie lange nicht. Ich nur ich und heraus aus der Schafsdrift. Ich nur ich und nicht nur nicht unterm Joch, sondern beinahe hoch zu Roß.
Hat man gelesen, was hier geschrieben steht? Nicht als heutige Einschrift in gestrige Schriften. Nicht als heutiger Einspruch gegen gestrige Ansicht. Sondern als Beleg eines Blicks auf die Dinge, wie sie vor fünfzig Jahren vor mir lagen. Oder wie ich sie vor zwanzig Jahren sah. Und in dieser Zeit zu Protokoll gab. Hoch zu Roß, sagte ich und benutzte fast dasselbe Wort, dessen man sich im Umgang mit mir bedient. Hoch im Sattel, sagen sie, hat er gesessen; hoch zu Roß, spotte ich meiner, und wir meinen dasselbe.
Halt, nein, eben nicht dasselbe meinten wir, sondern Grundverschiedenes. Zwar sprachen wir mit vergleichbaren Ausdrücken, doch meinten wir verschiedene Höhen. Die Anderen hatten den O KARINA -Redakteur im Auge, den Sprecher der Sachbuch-Autoren, den Gehobenen Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, das privilegierte As des Kommunikationsbetriebes, den Einflüsterer am Großen Ohr, die meinungsdeutende Antenne der Herrschenden, den mit dem Langen Löffel an der Großen Schüssel, den Etablierten im Besitz einer Parzelle der Macht.
Ach, Macht: Über dem Anspruch, Arbeiter-und-Bauern-Macht zu sein, verloren wir so viele Arbeiter und Bauern, daß nur Macht verblieb. Die sich zur Ohnmacht wandelte. – Nach diesem Einschub in den Einschub gehe ich auf die Feststellung zurück, daß die Anderen nicht müde werden, von meiner gehobenen Position zu sprechen. Und hänge mich bei der Aussage ein, ich habe anders Herausgehobenes im Sinn gehabt, als ich von dem Schriftsetzer, der bei Moeller & Moeller auch Drucker, also Schweizerdegen wurde, behauptete, es sei diese Stellung ein Höhepunkt seines Wohlseins gewesen. Wir wollen es wieder vor Augen nehmen, wenn der Vorgenannteschildert, wie ihm seine spätere Herausgehobenheit schmeckte.
Die Pförtnerin im Liebknecht-Haus folgte mir den hölzernen Koffer aus und schloß von meiner Zufriedenheit auf eine Konditorstelle. Ganz unverbindlich wolle sie erwähnen, sie esse gern Frankfurter Kranz, sagte sie.
In aller Verbindlichkeit werde ich mich dessen erinnern, erwiderte ich. Und kam um Auskunft in der Anstellungsfrage herum. Die Wächterin hingegen ist eines Tages unter Einschaltung eines westberliner Konditors und Frau Moellers als Beschafferin sowie eines Stücks meines dritten oder vierten Wochenlohnes zu einem Stück Frankfurter Kranz gekommen. Worauf sie sich keinen Reim wußte, wie sie mir, der ich des Westkuchens und Wilhelm Stricklands wegen nur kurz an der Pforte zum Liebknecht-Haus verharrte, glücklich und ratlos nachrief.
An jenem Tag aber, an dem sie sich einen Anspruch auf Frankfurter Kranz erworben hatte, ging ich auch noch ihrem Hinweis auf die schwierigen Vermieter nach. Mit der U-Bahn bis zur Endstation. Mit der Straßenbahn fast bis zur Endstation, deren Name Nordend mir gefiel. Nordend lag meiner Heimat zu.
Es hatte mit dem Ausmaß der Stadt zu tun, daß sie mir lange fremd blieb. Zu Fuß war ihr schlecht beizukommen. Auch auf dem Rad dehnte sie sich zwischen Niederschönhausen und Wannsee zum Tour-Abschnitt. Aber nicht, daß die preußischen Meilen beinahe im Dutzend kamen, wenn man aus der Vorstadt ins edle Vordorf wollte, machte die Schwierigkeit. Die S-Bahn hieß nicht nur Schnellbahn, und selbst die Elektrische gelangte einmal vom Start in Johannisthal ans Ziel in Lichterfelde. Die Meilen oder Kilometer erwiesen sich als überwindbar. Die unterschiedliche Beschaffenheit der Stadt war es weniger.
Einmal bin ich von Hohenschönhausen nach Niederschönhausen gelaufen. Weil ich an Höfen und Gärten hielt, dauerte es einen halben Tag, doch waren die Wechsel weniger scharf als eine Wanderung von Hohen bis Nieder vermuten ließ. Die Fabriken in Weißensee sahen nicht anders aus als die in Heinersdorf.Allen Friedhöfen am Weg merkte man ländliche Abkunft an. Überall Industriebahn, überall kaum ein Waggon. Überall Lauben hinter bewehrten Zäunen; überall tollkühne Losungen an den Gemeindebüros. Nachkrieg noch in der Nähe zum Krieg. Der Lärm verhallt, die Taubheit geblieben. Die Leute unter den Schulsirenen sahen wie welche aus, die keinem Frieden trauten.
In mir betreibt sich eine besondere Kommunikation. Durch mich ist Unverbundenes verbunden. Ich habe die Stadt nicht nur gesehen, als sie noch aussah wie Krieg, und auch nicht nur, als sie wie Frieden
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