Oksa Pollock. Der Treubrüchige
Unbehagen breit.
»Ich habe mein halbes Leben darauf gewartet, dass du meine Liebe erwiderst, Orthon. Ich bin sogar so weit gegangen, für dich zu töten. Und du? Wie hast du es mir gedankt? Du hast mich benutzt, wie du alle anderen benutzt, ganz egal, was Agafon denkt. Wir hätten ein grandioses Paar abgegeben. Zusammen hätten wir die Welt beherrschen können. Es war falsch von mir, mich so lange mit meiner Rolle als gewöhnliche Handlangerin zufriedenzugeben. Doch heute bin ich diejenige, die den Schlüssel in der Hand hält, den du brauchst. Die Rollen haben sich vertauscht, Orthon. Das Medaillon ist an einem sicheren Ort. Ich allein kenne ihn.«
»Wen hast du getötet?«, fragte da Remineszens mit tonloser Stimme.
Die beiden Blutspenden hatten sie enorm geschwächt, und sie musste sich an der Sessellehne vor ihr festhalten. Sie zitterte am ganzen Leib. Mercedica drehte sich um und sah Remineszens tief in die Augen.
»Ich habe Orthons Befehl blind befolgt, Remineszens, und habe deinen Sohn und seine Frau getötet. AUS LIEBE ZU ORTHON!«, sagte sie und zeigte auf den Anführer der Treubrüchigen.
Ehe es jemand verhindern konnte, zog Remineszens ihr Granuk-Spuck hervor und blies kraftvoll hinein. Mit schreckensstarrem Blick stürzte Mercedica zu Boden.
Das Ende einer Hoffnung
B
ist du wahnsinnig?!«, schrie Orthon seine Zwillingsschwester an. »Du hast gerade unsere letzte Hoffnung zerstört, je nach Edefia zurückzukommen.«
Einige der Treubrüchigen lösten sich aus ihrer Erstarrung und eilten zu Mercedica, die leblos am Boden lag. Ihr schwerer Dutt hatte sich gelöst, und ihr langes Haar breitete sich wie ein Totenschleier um ihr Gesicht aus, das blau angelaufen war. Remineszens hatte ein Stickarax-Granuk auf sie abgefeuert und so einen Erstickungsanfall verursacht. Ein paar der Anwesenden fingen zu weinen an, auch Oksa, die eine wahre Katastrophe auf sie alle zukommen sah.
»Warum hast du das getan?«, fragte die fassungslose Dragomira an Remineszens gewandt.
»Sie hat meinen Sohn umgebracht, Dragomira! Sie hat ihn und seine Frau eiskalt getötet. Stell dir vor, es hätte Pavel und Marie getroffen. Wie hättest du da reagiert?«
Ein Schauder des Entsetzens lief Dragomira über den Rücken. Was sollte sie auf so eine Frage antworten? Allein die Vorstellung war ein Albtraum. Undenkbar. Sie sah Remineszens lange an, dann wanderte ihr Blick zu Oksa und den übrigen Rette-sich-wer-kann.
»Dass du dich rächen willst, ist nachvollziehbar, aber damit hast du unser aller Todesurteil gesprochen«, brachte sie mühsam hervor.
»Sie ist nicht tot«, schrie plötzlich Catarina, die neben Mercedica kniete.
Orthon sprang als Erster auf. Rücksichtslos stieß er alle aus dem Weg, auch Catarina, kniete sich neben seine ehemalige Verbündete und legte sein Ohr an ihre Nase. »Sie atmet noch«, sagte er nach wenigen Sekunden.
Mit keuchendem Atem beschwor er sie: »Wo ist das Medaillon?«
Er packte Mercedica an den Schultern und schüttelte sie heftig.
»Ich glaube kaum, dass du so dein Ziel erreichen wirst«, bemerkte Dragomira leise. »Wenn es noch Hoffnung gibt, und sei sie noch so gering, wäre es nett von dir, sie nicht zunichtezumachen.«
»Das hättest du dieser Irren sagen sollen, bevor sie auf Mercedica losging!«, brüllte Orthon und drohte seiner Schwester mit der Faust.
Dragomira holte ein kleines Fläschchen aus ihrer Umhängetasche. »Aus dem Weg!«, befahl sie.
Orthon rührte sich nicht von der Stelle.
»Du weißt vielleicht nicht, dass Abakum und Leomido das Stickarax erfunden haben«, sagte da Dragomira. »Und natürlich haben sie auch daran gedacht, ein Mittel herzustellen, das die Wirkung zumindest zum Teil aufheben kann.«
Sofort gab Orthon den Weg frei. Die Baba Pollock war nicht ganz so sicher, dass das Gegenmittel funktionieren würde, wie sie behauptet hatte. Sie kniete neben Mercedica nieder, die sie mit ihren großen schwarzen Augen fixierte. Ihr Kopf ruhte auf den Knien ihrer Tochter Catarina. Die schreckliche Angst um ihre Mutter stand ihr ins Gesicht geschrieben. Dragomira öffnete das Fläschchen. Neben einem intensiven fauligen Pflanzengeruch stieg eine kleine dunkle Wolke auf und drang Mercedica in die Nase. Ihre Augen quollen hervor, und sie wurde von so heftigen Krämpfen geschüttelt, dass alle schon befürchteten, das Gegenmittel habe ihr den Todesstoß versetzt.
»Was ist das denn für Zeug?«, murmelte Oksa erschrocken.
Die Junge Huldvolle war nicht die Einzige,
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