Oksa Pollock. Der Treubrüchige
ersten Tag an, an dem ich dich wiederfand, treu ergeben«, erklang plötzlich Mercedicas Stimme. »Und ihr alle sollt erfahren, was mich heute dazu bringt, so zu handeln, wie ich es tue.«
Sie sah sich verächtlich um und ließ sich in dem Sessel in der Mitte des Raumes nieder, in dem eben noch Orthon gesessen hatte. Dieser warf ihr einen vernichtenden Blick zu und blieb mit geballten Fäusten stehen.
»Wir beide, du und ich, waren immer von demselben Ehrgeiz erfüllt«, fuhr Mercedica fort. »Macht ist unsere Antriebskraft. Bei meiner Ankunft im Da-Draußen war dieser Wille zu herrschen meine Rettung, und ich habe mit allen Mitteln gekämpft, um mein Ziel zu erreichen. Erst habe ich mich in der Finanzwelt emporgearbeitet, weil ich rasch verstand, dass Geld das Da-Draußen regiert. Es fiel mir erstaunlich leicht, Unmengen davon anzuhäufen, ehe ich mich dem Gebiet der internationalen Beziehungen zugewandt habe. Und ich muss sagen, es hat mir großen Spaß gemacht, im Schatten von Regierungen zu agieren, vor allem in Südamerika und im Nahen Osten. All diese Konflikte, die mithilfe völlig unlauterer Abkommen beigelegt werden, haben mir nur bestätigt, wie schwach die Menschen eigentlich sind. Sie zu manipulieren, stand gut zwanzig Jahre lang im Mittelpunkt meiner Bemühungen, und ich gebe zu, dass ich mich meiner Aufgabe mit Herzenslust gewidmet habe.«
»Daran dürfte niemand zweifeln«, sagte Dragomira finster.
»Im Frühjahr 1978 kreuzten sich dann unsere Wege, meiner und Orthons, rein zufällig in den Gängen der CIA«, fuhr Mercedica fort. »Im Lauf meines Lebens haben mir eine Reihe von Männern den Hof gemacht, doch wirklich geliebt habe ich nur zwei von ihnen: Catarinas Vater und dich, Orthon.«
Ihre Stimme bebte leicht, als sie das sagte.
»Trotz des Altersunterschieds zwischen uns hast du mich von Anfang an tief beeindruckt. Von dem Moment an habe ich mich dir mit Leib und Seele verschrieben. Und aus welchem Grund? Ganz einfach: aus Liebe.«
»Aus Liebe zur Macht, meinst du wohl?«, warf Orthon spitz ein.
»Das auch, das will ich gar nicht leugnen. Aber vor allem aus Liebe zu dir. Dir ist doch wohl klar, dass ich mehr Macht hatte, als ich mit den Mächtigen der Welt zusammengearbeitet habe? Du begreifst doch, dass es eine ungleich spannendere, befriedigendere Aufgabe war, an ihrer Seite Komplotte zu schmieden? Die finsterste und korrupteste südamerikanische Regierung war mir dankbarer, als du es mir je gewesen bist. Obwohl ich dich in den letzten dreißig Jahren nie im Stich gelassen habe, oder? Habe ich dich je enttäuscht? Und was ist dir diese Treue wert? Die Liebe, die ich dir diese ganze lange Zeit entgegengebracht habe, ist immer nur auf deinen egozentrischen Ehrgeiz gestoßen. Und nun ist die Grenze erreicht, Orthon. Du hast mich ausgenutzt wie alle anderen, die sklavisch um dich herumscharwenzeln.«
»Das stimmt nicht!«, sagte Agafon mit lauter Stimme. »Wir stehen aus Überzeugung auf Orthons Seite!«
»Ganz wie du meinst«, räumte Mercedica kalt ein. »Ich jedenfalls habe um deinetwillen brutale Entscheidungen getroffen: Ich habe mich bereit erklärt, Dragomira und die Rette-sich-wer-kann zu verraten, obwohl ich mich sehr gefreut hatte, sie wiederzufinden.«
Bei diesen Worten schnaubte Dragomira vor Empörung. Mercedica wandte sich ihr zu, und ihr überheblicher Blick wich einen Moment einem Anflug von Trauer.
»Ja, Dragomira, ob du mir nun glaubst oder nicht«, sagte sie leise. »Ich mag ein Verstandesmensch sein, unbarmherzig und berechnend, dennoch war es eine der größten Freuden meines Lebens, dich wiederzusehen. Nie werde ich diesen Tag vergessen. Einige Jahre zuvor hatte Orthon deine Familie aufgespürt. Er schickte mich nach Paris, um Kontakt mit dir aufzunehmen. Obwohl ich nicht zu Gefühlsausbrüchen neige, war es beinahe ein Schock für mich, als ich dich in deiner Heilkräuterhandlung sah. Ich erkannte dich sofort. Abakum stand neben dir als der würdevolle Beschützer, der er immer für dich war. Natürlich habt ihr mich mit offenen Armen empfangen. Eure Solidarität untereinander hat mich tief bewegt, doch sie hat weder mein wahres Wesen verwandelt noch etwas an meiner Treue zu Orthon geändert. Und so habe ich euch verraten. Mit Bedauern, aber ohne zu zögern, denn, wie ich heute weiß: Nichts ist stärker als die Liebe. Und nichts ist zerstörerischer als verschmähte Liebe.«
Mercedica schwieg einen Augenblick, dann stand sie stolz auf. In der Runde machte sich
Weitere Kostenlose Bücher