Oksa Pollock. Der Treubrüchige
Rette-sich-wer-kann, und ihre Feinde, die Treubrüchigen, müssen sich in die Wüste Gobi begeben, 42 Grad östlicher Länge, 101 Grad nördlicher Breite. Das Tor hat seine Lage an der Westküste des Goshun-Sees fixiert.«
Sofort drückte Tugdual auf seinem Handy herum und gab ihnen nach wenigen Sekunden zusätzliche Informationen.
»Der Goshun-See liegt zwanzig Kilometer südlich der Grenze zwischen China und der Mongolei. Er wird vom Xi-Fluss gespeist, und eine kleine Straße führt um den See herum.«
Die Auskünfte versetzten die Rette-sich-wer-kann in eine zwiespältige Stimmung: Einerseits waren sie erleichtert, endlich zu wissen, wo das Tor sich befand. Andererseits waren sie bedrückt, denn der Weg dorthin klang nicht gerade nach einem Spaziergang …
»Ganz schön weit weg«, rutschte es Oksa heraus.
»Siebentausendvierundachtzig Kilometer, um genau zu sein«, bestätigte Tugdual mit einem Blick auf sein Handy.
Oksa stieß einen leisen Pfiff aus.
»Ob wir es wohl schaffen, zum Tor zu gelangen? Und dann wäre da noch was: Du hast doch gesagt, lieber Plemplem, dass der Absolute Wegweiser, der es uns erlaubt, das Tor zu finden, beweglich ist. Wer sagt uns, dass er sich nicht von der Stelle rührt, bis wir dort ankommen?«
Der Plemplem trat von einem Bein aufs andere und räusperte sich.
»Edefia befindet sich am Rand der Welt, und der Absolute Wegweiser kennt die Beweglichkeit, das ist vollkommen korrekt. Doch Eure Dienerschaft kann Euch versichern, dass der Phönix sich genau an der von Eurem Haus- und Hofmeister angegebenen Örtlichkeit befindet, in Erwartung der beiden Huldvollen. Dem Phönix wird die Geduld genau zwölf Tage und zwölf Nächte lang widerfahren. Nach Ablauf dieser Zeit wird das Tor die Entfernung des Absoluten Wegweisers betreiben, und der Phönix wird ebenso definitiv verschwinden wie die beiden Welten.«
Pavel fluchte, und die übrigen Rette-sich-wer-kann wurden von Panik erfasst. Die Zukunft nahm beängstigend konkrete Formen an.
»Gut. Dann sollten wir uns also bald auf den Weg machen, oder?«, sagte Oksa nach längerem Schweigen.
»Wünschen wir uns Glück, meine Freunde«, ergänzte Abakum ergriffen. »Das werden wir nämlich brauchen.«
Die Rette-sich-wer-kann und die Treubrüchigen hatten sich um Dragomira versammelt, um zu erfahren, was sie hinsichtlich ihrer gemeinsamen Reise wissen mussten.
»Also haben wir zwölf Tage Zeit, um siebentausend Kilometer zurückzulegen und das Tor zu finden?«, fragte Agafon nach.
Die Alte Huldvolle nickte nur.
»Du willst doch wohl nicht behaupten, dass du nicht mehr weißt«, wandte Orthon ein.
»Ich kenne alle notwendigen Details«, antwortete ihm Dragomira steif. »Aber ich werde sie dir nicht verraten. Du wirst alles zu gegebener Zeit erfahren.«
Orthon warf ihr einen hasserfüllten Blick zu. Dann streckte er mit einer autoritären Geste die Hand in Mercedicas Richtung aus und befahl, ohne sie eines Blickes zu würdigen: »Das Medaillon!«
Einige Zeit verging, ohne dass Mercedica sich rührte. Gereizt drehte sich Orthon zu ihr um.
»Das Medaillon, habe ich gesagt, Mercedica!«
Die stolze Spanierin reckte das Kinn in die Luft.
»Das Medaillon gehört dir nicht mehr, Orthon!«, sagte sie verächtlich. »Ich habe es an mich genommen, und nun gehört es mir – mir allein!«
Das Geständnis einer Treubrüchigen
W
o ist das Medaillon? Was hast du damit gemacht?«, brüllte Orthon.
Er war außer sich, seine Augen funkelten böse, und er musste die Zähne zusammenbeißen, um seiner Wut Herr zu werden. Angesichts von Mercedicas arrogantem Schweigen hob er die Hand in der offenkundigen Absicht, sie zu ohrfeigen.
»Ich frage dich ein letztes Mal«, schleuderte er ihr ins Gesicht. »WO IST DAS MEDAILLON, DU VERRÄTERIN?«
Keiner der übrigen Anwesenden begriff, was zwischen den beiden vor sich ging.
»Vom Anführer der Treubrüchigen als Verräter bezeichnet zu werden, ist ja fast eine Ehre«, murmelte Oksa leise vor sich hin.
Trotzdem hatte sie große Angst. Ohne Medaillon war Edefia eine verlorene Welt und würde es für immer bleiben. Gus und sie würden bis zu ihrem Tod unerträgliche Schmerzen leiden, und auch ihre Mutter hätte nur noch eine kurze und qualvolle Zeit zu leben. Doch all das würde gar keine Rolle mehr spielen, denn die beiden Welten würden ohnehin bald untergehen … Und alles nur wegen einer überdrehten Treubrüchigen, die es sich anscheinend plötzlich anders überlegt hatte.
»Ich war dir vom
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