Oksa Pollock. Der Treubrüchige
der dieser Anblick Angst einflößte. Plötzlich kam aus Mercedicas Mund und Nase ein ganzer Schwarm winziger Insekten geflogen. Hunderte schwarzer Panzer und Flügel setzten sich zu einer Wolke zusammen, die eine Weile über dem Gesicht der Spanierin schwebte. Schreckensstarr betrachtete diese die Insekten, die sich schließlich mit einer kleinen Explosion auflösten.
»Es war höchste Zeit«, sagte Dragomira leise und stöpselte die Flasche wieder zu.
Oksa sah ihre Großmutter entsetzt an. »Soll das heißen, dass diese schrecklichen Biester in Mercedicas Innerem explodiert wären, wenn du nichts unternommen hättest?«
»Ja. Genau genommen, in ihrer Kehle.«
Trotz der Rettungsaktion sah Mercedica immer noch sehr schlecht aus. Sie war grau im Gesicht, und jeder Atemzug schien ihr große Schmerzen zu bereiten. Mit großer Anstrengung hob sie die Hand und winkte Dragomira zu sich. Orthon begriff, dass sie ihr das Geheimnis anvertrauen wollte, und warf sich blitzschnell auf Catarina. Brutal packte er sie am Arm und zog sie zu sich her. Mit Catarina als Geisel baute er sich in Mercedicas Blickfeld auf.
»Bild dir nur nicht ein, dass du mich austricksen kannst«, zischte er zwischen den Zähnen hervor.
»Sie liegt im Sterben!«, rief Dragomira empört.
»Genau, also hat sie nichts mehr zu verlieren. Zumindest, wenn sie ihre eigene Tochter nicht ins Grab mitnehmen möchte.«
»Du bist ein Unmensch!«, schrie Dragomira ihn an, ehe sie sich der sterbenden Treubrüchigen zuwandte. »Sag uns, wo das Medaillon ist, Mercedica«, flehte sie. »Wenn nicht für ihn, dann um unseretwillen. Zur Erinnerung an die Jahre, in denen du eine von uns warst … Bitte!«
Mercedica zuckte unkontrolliert. Sie sah, wie ihre Tochter sich in Orthons eisernem Griff wand, und öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Mit starrem Blick fixierte sie Catarina, die sich weinend zu befreien versuchte. Dann sank Mercedicas Kopf langsam zur Seite. Sie atmete ein letztes Mal, und ihr Gesicht entspannte sich.
»Ihr Herz«, sagte Dragomira traurig, »Es hat nicht durchgehalten. Sie ist tot.«
Der Schlüssel
S
ie begruben Mercedica hinter dem Haus. Trotz des Verrats der Spanierin nahmen Dragomira und Abakum an der kurzen Zeremonie teil, die Galinas Mann, Pastor Andrew, mit großem Ernst abhielt. Auch die anderen Rette-sich-wer-kann waren anwesend, außer Remineszens, die sich in ein Zimmer im ersten Stock zurückgezogen hatte. Mercedicas Geständnis entschuldigte nicht ihre schreckliche Tat, doch der Weg, der sie dazu geführt hatte, machte aus dieser machtbesessenen Frau ein Wesen, das Mitgefühl verdiente. Von den Treubrüchigen war einzig Catarina erschienen, allerdings in Begleitung von Agafon und Lukas, die Orthon zu ihrer Bewachung entsandt hatte.
»Es sieht ganz so aus, als könnten die Treubrüchigen Treulosigkeit nicht ertragen!«, flüsterte Tugdual Oksa zu.
Mit Tränen in den Augen sah sie ihn an. Sanft strich Tugdual ihr mit dem Zeigefinger über die Wange. Es war das erste Mal, dass Oksa jemanden hatte sterben sehen, und sie war ziemlich verstört. Dass es sich bei der Verstorbenen um Mercedica handelte, die ihrer Familie so großes Leid zugefügt hatte, machte es ihr merkwürdigerweise nicht leichter. Ein Schock folgte auf den anderen, und sie steckte sie, so gut sie konnte, weg. Aber wie lange noch?
Nach der Beerdigung, als sich alle im Salon versammelt hatten, nahm Dragomira die Dinge wieder in die Hand.
»Liebe Kinder«, flüsterte sie Tugdual, Oksa und Gus zu, »würdet ihr bitte unsere Route so planen, dass wir keine zwölf Tage zum Goshun-See brauchen? Und es gibt noch eine Bedingung: Wir dürfen keinesfalls getrennt werden.«
»So gut wie erledigt!«, sagte Tugdual gelassen und griff nach seinem Handy.
»Aber was ist mit dem Medaillon, Baba?«
»Ich kümmere mich schon darum«, antwortete Dragomira.
Die drei Jugendlichen entfernten sich und ließen sich in der Nähe des riesigen Bücherregals nieder.
»Sie sind so groß geworden«, entfuhr es Dragomira wehmütig. »Aber nun zu uns«, fuhr sie mit einem Blick auf die arme Catarina fort.
»Ich habe das ganze Zimmer der Verräterin auf den Kopf gestellt«, sagte Orthon.
»Und? Hast du das Medaillon gefunden?«
»Nein. Aber ich bin sicher, dass es in dieser Schatulle sein muss«, sagte er und zeigte auf eine kleine Kiste.
»Na dann, mach sie auf!«, entgegnete Dragomira.
Die Miene des Treubrüchigen verfinsterte sich.
»Wir haben alles versucht«, räumte
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