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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Oksa zu ihrem Vater gehen wollte, versperrte ihr die Raupe den Weg und befahl ihr zurückzutreten.
    »Was soll das? Darf ich etwa mit niemandem reden?«, rief Oksa empört.
    Sie fand die Hellhörige, deren Flimmerhärchen sich mit der Geschwindigkeit von Hubschrauber-Rotorblättern drehten, abstoßend.
    »Alle müssen bis zur Sitzung in ihren Gemächern bleiben«, posaunte die Raupe. »Das hat der Cicerone befohlen.«
    »Der Cicerone?«
    »Der Meister, wenn Euch das lieber ist.«
    »Mir ist gar nichts lieber. Was passiert, wenn ich deinen Befehl einfach ignoriere?«, maulte Oksa trotz des Widerwillens, den ihr die Hellhörige einflößte.
    »Tödlich sind meine Flimmerhärchen nicht, doch eine Berührung mit ihnen führt zu einer äußerst schmerzhaften Lähmung.«
    »Na toll«, sagte Oksa und verzog enttäuscht das Gesicht.
    Sie fand sich mit der endlosen Warterei ab und warf sich wieder aufs Bett.
    »Junge Huldvolle … Junge Huldvolle …«
    Oksa schlug die Augen auf. Sie war schließlich doch für einen kurzen Moment in tiefen, traumlosen Schlaf gefallen, bis sie diese Stimme hörte, die sanft ihren Namen flüsterte. Beim Anblick von Annikki, die sich über sie beugte, fuhr sie zurück.
    »Keine Angst, ich will Euch nichts Böses«, sagte die Treubrüchige. »Ich komme, um Euch abzuholen. Bis die Sitzung anfängt, haben wir noch ein bisschen Zeit, möchtet Ihr vielleicht etwas essen? Ihr müsst halb tot vor Hunger sein.«
    Aus purem Trotz hätte Oksa am liebsten abgelehnt. Doch der Anblick und vor allem der Duft eines frisch gebackenen Brots waren unwiderstehlich. Sie streckte die Hand nach dem kleinen Tablett aus, das unten auf dem Boden stand, und zog es näher heran. Butter, in kleine Stücke geschnittener Käse, Feigen und Rosinen … und es war um ihren Widerstand geschehen. Annikki hatte recht, sie war ausgehungert. Sie schmierte sich eine Scheibe Brot und biss herzhaft hinein. Dabei beobachtete sie die junge Treubrüchige. Sie sah blass und mitgenommen aus, ihre Augen waren gerötet, ihre Wangen eingefallen. Da wurde Oksa plötzlich bewusst, dass sie selbst nicht die Einzige war, die geliebte Menschen zurückgelassen hatte: Annikki war mit einem Von-Draußen verheiratet. Wie Marie, Gus und einige andere war er am Tor nach Edefia zurückgeblieben. In diesem Moment trat die junge Treubrüchige zaghaft näher und drückte ihre Hand. Instinktiv wollte Oksa sie zurückweisen, doch schließlich ließ sie es wortlos geschehen.
    »Ich gehöre zum Clan der Treubrüchigen und kann Euer Miss­trauen verstehen«, flüsterte Annikki. »Ihr sollt aber wissen, dass ich mich auf unserer Insel intensiv um Eure Mutter gekümmert habe. Wir sind uns nahegekommen, haben uns kennen- und schätzen gelernt. Sie ist eine sehr tapfere Frau, für die ich große Bewunderung hege. Durch sie ist mir vieles klar geworden, was mit anderen Menschen – aus meinem Clan – und mit mir selbst zu tun hat.«
    Sie verstummte wieder und wandte sich ab, denn eine Hellhörige schwirrte misstrauisch in der Nähe des Bettes herum.
    »Darf die Junge Huldvolle vielleicht in Ruhe fertig essen?«, fragte Annikki mit barscher Stimme.
    Die Raupe verharrte unbeweglich in der Luft.
    »Der Cicerone wartet«, sagte sie.
    »Gut. Ich bin so weit«, sagte Oksa und schob sich noch eine letzte Rosine in den Mund.
    Sie warf Annikki einen unsicheren Blick zu. Diese gab vor, Oksa die Haare zu ordnen, und flüsterte ihr dabei ins Ohr: »Keine Sorge. Ihr könnt mir vertrauen.«
    Doch dann öffnete sie die Tür mit einer derart autoritären Geste, dass die Junge Huldvolle erneut verunsichert war. Die Hellhörige ließ die beiden vorbei und blieb ihnen dicht auf den Fersen, bis der gläserne Fahrstuhl sich hinter ihnen schloss.
    In dem monumentalen Sitzungssaal herrschte eine bedrückende Atmosphäre, die noch von dem gedämpften Licht unterstrichen wurde. Es kam von einer einzigen Quelle: einer riesigen zylindrischen Öffnung in der Spitze der Säule. Der Saal, in dem sie sich befanden, lag jedoch ein gutes Dutzend Stockwerke von der Spitze entfernt, und das Licht, das durch den Schacht hineinfiel, war hier nur noch milchig trüb. Der Sitzungssaal war rund und passte sich perfekt an den Umriss des Lichtkegels an. Dunkle Ledersessel standen halbkreisförmig angeordnet auf einem kleinen Podium. Dort saßen Ocious und seine Anhänger, knapp zwei Dutzend Männer und Frauen von nüchterner Strenge. Mauerwandler. Nur vier Plätze waren frei geblieben. Dem Podium

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