Oksa Pollock. Die Entschwundenen
Remineszens verarzten, die ihm Filigrinnen auf die Wunde gesetzt hatte. Er wirkte müde, doch sein Blick strahlte Entschlossenheit aus.
»Halt!«, rief Leomido. »Was Abakum da gerade gesagt hat, ist enorm wichtig!«
»Wie meinst du das?«, fragte Pavel ungläubig. »Du denkst doch nicht etwa, dass wir in Edefia sind?«
»Warum denn nicht?«, sagte Leomido fast verteidigend.
Betroffen schwiegen alle. Oksa ließ den Blick von einem zum anderen schweifen, während die Gedanken in ihrem Kopf Karussell fuhren. Hoffnung zeichnete sich auf den Gesichtern von Leomido, Remineszens und Pierre ab. Abakums Miene war verschlossen, und Pavel war sein Ärger deutlich anzumerken. Ihren Freund Gus konnte sie nur von hinten sehen, sein Rücken war leicht gekrümmt – sicher lag es an der harten Landung und an seiner Erschöpfung. Der Kapiernix hatte sich an ihn geschmiegt und sah ihn voller Bewunderung an. Alle waren sie in mehr oder weniger wilde Phantasien versunken. Alle außer Tugdual. Alarmiert sah Oksa sich um. Der Junge hockte nicht sehr weit von ihr entfernt auf dem Boden.
»Und du, Kleine Huldvolle?«, fragte er. »Was meinst du?«
»Wir sind nicht in Edefia!«, rutschte es ihr lauter als beabsichtigt heraus.
Die Rette-sich-wer-kann sahen auf.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Remineszens sanft.
Ohne nachzudenken, erwiderte Oksa: »Na, wenn wir in Edefia wären, wüsste ich das!«
»Die Junge Huldvolle hat recht«, bestätigte die Sensibylle, die den Kopf aus Abakums Jacke streckte. »Edefia ist noch weit weg. Begrabt also eure Hoffnung, und sucht lieber nach einem Weg, um hier herauszukommen!«
Zum ersten Mal seit dem Streit mit Tugdual sah Gus Oksa in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand, erstaunt, dass er gar nicht wütend wirkte. Vielleicht hatte sie sich doch alles nur eingebildet, und Gus und Tugdual hassten sich gar nicht so sehr? Vielleicht hatten sie wirklich nur gemeinsame Sache gemacht, damit sie ein Gewitter auslöste.
»Sag mal, Oksa, du wirst ja echt noch zu einer perfekten Ninja!«, sagte Gus betont locker und kam, den Kapiernix auf den Fersen, herbei. »Ist dir klar, dass du gerade eine Monsterechse plattgemacht hast?«
»Plattgemacht?«, antwortete Oksa grinsend. »Verbrutzelt, meinst du wohl! Was glaubst du denn, ich lass mir doch nichts gefallen!«
Gus grinste zurück, doch plötzlich verzog er das Gesicht und stemmte sich die Hand ins Kreuz.
»Bist du verletzt?«, fragte Oksa besorgt.
»Nein. Es wäre mir nur lieb, wenn man mich nicht mehr andauernd durch die Gegend schleudern würde, falls du verstehst, was ich meine«, antwortete er mit einem finsteren Blick zu Tugdual.
Da wurde Oksa klar, dass ihre Vermutung, die beiden hätten sich zusammengetan, um sie auf die Palme zu bringen, nicht stimmte.
»Außerdem wäre es mir lieb, wenn deine Fledermaus aufhören würde, mich immerzu so heimtückisch anzugrinsen!«, fügte Gus hinzu.
»Hör auf, ihn als Fledermaus zu bezeichnen«, sagte sie so nüchtern wie möglich.
Gus seufzte ergeben.
»Ich will’s versuchen, aber ich kann dir nichts versprechen! Gar nichts!«, maulte er und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Du solltest dich in Acht nehmen. Mit dem Typ stimmt was nicht. Der ist mir richtig suspekt!«
»Sind wir in Edefia angekommen?«, fragte der Kapiernix unvermittelt. »Das sind ja gute Neuigkeiten! Ich kenne da so eine alte Dame, die sich sehr darüber freuen wird. Wie hieß sie noch gleich?«
Oksa war ihm sehr dankbar für den Themenwechsel. Sie lachte erleichtert und steckte bald alle mit ihrer Fröhlichkeit an.
Die Sensibylle streckte ihren kleinen Kopf aus Abakums Jacke und kommentierte: »Was für eine Trantüte aber auch!«
»Ja«, stimmte der Kapiernix ihr zu, der überhaupt nicht auf die Idee kam, dass sie ihn meinen könnte. »Habt ihr gesehen, wie hässlich sie ist, mit ihrem stachligen Panzer? Grün ist aber auch nicht gerade eine schmeichelhafte Farbe. Wo ist sie überhaupt abgeblieben?«
Seufzend verdrehte die Sensibylle die Augen zum Himmel und tauchte wieder in Abakums Jacke ab.
»Sagt mir Bescheid, wenn er eines Tages mal was kapiert!«, grummelte sie.
»Da ist die Trantüte!«, sagte Oksa und zeigte dem Kapiernix den Aschehaufen.
»Versteckt sie sich? Die ist ja richtig verspielt!«
Gus hielt sich den Bauch vor Lachen und wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Der ist echt klasse!«, stieß er hervor.
»Ja, sie ist wirklich komisch, nicht
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