Oksa Pollock. Die Entschwundenen
vielleicht trieb die schlimme Lage, in der sie sich befanden, sie dazu, diese … Komödie aufzuführen? Es gelang Oksa nicht, sich diese Vorstellung aus dem Kopf zu schlagen, und so konnte sie einfach nicht wütend werden.
»Wie du schon sagtest, du bist ein Versager«, legte nun Tugdual los. »Das hast du klar erkannt. Wenigstens kann man dir nicht vorwerfen, dass es dir an Selbsterkenntnis mangelt!«
Gus brüllte los und nahm seine letzten Kräfte zusammen, um sich auf seinen Widersacher zu stürzen.
Darauf schien Tugdual nur gewartet zu haben. Er hob die Hand und warf Gus mit einem perfekten Knock-Bong auf den staubigen Boden. Pierre fluchte und stürzte zu seinem Sohn, während die anderen nur stumm vor Schreck zusahen. Wütend wehrte Gus den Arm ab, den sein Vater ihm hinhielt. Er rappelte sich auf und wankte mit unsicheren Schritten auf Tugdual zu, der ihn mit kaltem Blick musterte. Pavel wollte sich schon zwischen die beiden werfen, doch Abakum hielt ihn zurück.
»Na, wehrt sich der Versager?«, fragte Tugdual herausfordernd und schickte sich an, Gus mit einem zweiten Knock-Bong außer Gefecht zu setzen.
»Halt die Klappe, du Monster! Du bist zwar stärker als ich, aber dafür bist du auch genauso krank im Kopf wie McGraw und seine Clique. Ich frage mich sowieso schon die ganze Zeit, ob du nicht ihr Spitzel bist und ihnen alles verrätst, was hier bei uns läuft.«
Tugdual wurde noch blasser, als er ohnehin schon war. Die Adern an seinem Hals schwollen an und pochten, er sah aus, als würde er gleich explodieren.
»He, weißt du noch, dass du uns alle in diese Lage gebracht hast?«, zischte er. »Glaubst du etwa, du hast hier was zu sagen? Vorhin hast du noch was von deiner Verantwortung gefaselt. Darf ich dich dran erinnern, wessen Schuld es ist, dass wir hier in der Klemme sitzen?«
Oksa konnte nicht mehr klar denken, so sehr erschreckte sie das Verhalten der beiden. Sie konnte nur noch erkennen, worauf das Ganze zusteuerte: dass die beiden einander auf nicht wiedergutzumachende Weise verletzen würden.
»HÖRT AUF!«, schrie sie.
Tugdual drehte sich zu ihr um, während Gus erschöpft hin und her wankte.
»Warum denn, Kleine Huldvolle?«, fragte er plötzlich sanft. »Hast du Angst, dass dein Freund die Wahrheit nicht ertragen kann?«
Tugduals stahlblaue Augen trafen Oksa wie ein Peitschenhieb. Unbeweglich stand er vor ihr, seine schlanke, hochgewachsene Gestalt hob sich vor dem Hintergrund des marmorierten Himmels ab. Er war bereit, Gus den vernichtenden Schlag zu versetzen. Sie warf ihm einen flehentlichen Blick zu, damit er die Worte, vor denen sie sich so sehr fürchtete, nicht aussprach. Über ihren Köpfen braute sich eine riesige pechschwarze Wolke zusammen, aufgeladen mit Elektrizität, die sich immer wieder in finsteren, wie Onyx leuchtenden Blitzen entlud. Sie hob den Kopf und sah Tugdual dasselbe tun. Dann trafen sich ihre Blicke wieder. Sie wusste nicht, ob er von seiner Wut oder seinem Überlebensdrang angetrieben wurde, doch sie wusste, dass sie seinem eiskalten Willen nichts entgegensetzen konnte.
»Weißt du noch, du Besserwisser, wer am Tod der Plempline schuld ist?«, rief er Gus böse zu.
Oksa sah nicht, wie ihr Freund unter dem Schock der Worte zusammenbrach, weil sie Tugdual mit einem zornigen Schrei sofort an die Kehle ging.
»Warum hast du das gesagt? WARUM?«
Tugdual tat nichts, um sich zu wehren, und so rollten sie beide im Klammergriff von Oksas Zorn über den Boden. Die Junge Huldvolle trommelte wie verrückt auf Tugduals Brust und zerkratzte ihm weinend vor Wut das Gesicht. Sie wirbelten den glühenden Staub auf, doch keiner von beiden bemerkte die Funken auch nur.
»Hättest du nicht den Mund halten können?«, stieß Oksa hervor, indem sie die Schluchzer unterdrückte, die sie schüttelten. »Du bist ein Monster! Ein Monster, ist dir das klar?«
Tugdual hielt es nicht mehr aus, er packte sie mit eisernem Griff an den Handgelenken und drückte fest zu. Dann riss er Oksa mit einer schnellen Bewegung herum, sodass sie auf dem Rücken landete und sich nicht mehr wehren konnte – was ihre Wut nur steigerte.
»Du tust mir weh!«, schrie sie, während ein schwarzer Blitz über den Himmel zuckte. »Ich hasse dich! ICH HASSE DICH!«
Tugdual beugte sich dicht über sie. »Du lügst«, flüsterte er.
Außer sich vor Zorn versuchte Oksa, sich aus seiner verwirrenden Umklammerung zu befreien, doch sie war nicht stark genug.
»Du lügst«, wiederholte Tugdual und
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