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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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teuer zu stehen kommen, das darfst du mir glauben, mein junger Freund. Was nun Orthon angeht …«
    Der alte Mann brach ab und hob als Zeichen der Kapitulation die Hand. Es war wohl besser für alle, diese sinnlose Diskussion zu beenden, bevor sie hässlich wurde. Oksa dagegen kochte innerlich. Trotz dieser gewissen Verwirrung, die Tugdual bei ihr auslöste, sobald er in ihrer Nähe war, fand sie, dass er mit seinem ironischen Ton und seinen Provokationen zu weit gegangen war. Sie wusste, dass sich hinter Abakums Weisheit und Bedachtsamkeit noch eine andere Seite verbarg, dass er nämlich durchaus sehr gefährlich sein konnte. War er nicht der Einzige gewesen, der es fertiggebracht hatte, das Crucimaphilla-Granuk auf Orthon abzuschießen? Niemand sonst wäre dazu imstande gewesen. Oksa wusste, dass ihm das nicht leichtgefallen war. Doch seine vorbehaltlose Loyalität machte ihn unbestreitbar zum mächtigsten Mann unter den Rette-sich-wer-kann. Seine Treue gegenüber Dragomira und ihrer gesamten Familie verlieh ihm eine enorme mentale Kraft, die ihm half, jede Gefahr zu meistern. Aber wie sollte sie das Tugdual erklären? Anscheinend wusste er gar nicht, dass es Abakum gewesen war, der Orthon im Keller seines Hauses pulverisiert hatte. Sonst hätte er sich wohl kaum so frech über die vermeintlich naive Friedfertigkeit des alten Mannes lustig gemacht.
    »Du vergisst, dass Abakum der Feenmann ist«, raunte sie ihm daher einfach zu.
    »Ach, apropos Feen«, sagte Tugdual in sarkastischem Ton, »die haben uns schon lange keinen Besuch mehr abgestattet. Die könnten uns doch auch mal ein wenig unter die Arme greifen, oder?«
    Dragomira beugte sich mit hochgezogenen Augenbrauen zu Naftali und Brune, die ihren Enkel tadelnd ansahen.
    »Ich dachte eigentlich, es ginge ihm in letzter Zeit besser«, raunte sie den beiden zu, während sie Tugdual beobachtete. »Er erschien mir nicht mehr so …«
    »Morbide? Neurotisch?«, fiel Tugdual ihr ins Wort und verdrehte die Augen, als ob ihn dies alles köstlich amüsiere. »Aber mir geht es sehr gut, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen! Abakum, den ich mehr respektiere, als ihr es euch vorstellen könnt, kennt mich am besten von euch allen, und es liegt mir fern, ihn verletzen zu wollen. Ich wollte euch nur an das erinnern, was ihr selbst einmal gesagt habt, nämlich dass es euch im Umgang mit der Gefahr an Erfahrung fehlt. Ihr habt euch selbst als unfähige alte Leute bezeichnet. Und nun seht euch an, und seid doch mal ehrlich: Seid ihr wirklich bereit, es mit solch skrupellosen Feinden aufzunehmen? Außerdem habt ihr ständig so getan, als würde ich übertreiben, wenn ich Orthon als die Inkarnation des Bösen bezeichnet habe. Aber das waren nicht die Hirngespinste eines armen neurotischen Jungen. Habt ihr das jetzt endlich kapiert? Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen … immer mit dem Schlimmsten rechnen …«
    Einige der Anwesenden nickten zustimmend. Der junge Mann war zwar sicherlich ein wenig extrem, aber mit dem, was er sagte, hatte er nicht ganz unrecht, und seine Botschaft nahmen sich alle sehr zu Herzen: Man musste sich auf das Schlimmste gefasst machen, die Zeichen waren nicht mehr zu übersehen.

Eine schwerwiegende Entscheidung
    D
ie Sensibylle ließ sich auf einem Beistelltischchen vor dem Gemälde nieder, sodass ihr winziger Schnabel nur ein paar Zentimeter davon entfernt war. Die Leinwand, obwohl vollkommen straff auf den Holzrahmen gespannt, schillerte abwechselnd dunkel und perlmuttfarben, als wäre sie in ständiger Bewegung. Die Rette-sich-wer-kann beobachteten gebannt das Phänomen, während sie darauf warteten, dass das kleine Huhn sein Urteil abgab.
    »Die Sensibylle verfügt über die Wahrheit der Dinge zum gegenwärtigen Zeitpunkt«, flüsterte der Plemplem Oksa zur Erklärung ins Ohr. »Sie kann dorthin gehen, wohin das Wissen der anderen nicht reicht. Die Wahrheit, die sie spricht, ist in ihrem Verständnis der Welt immer vollständig, niemals begegnet ihr der Irrtum. Wir können ein volles Vertrauen entwickeln: Sie wird die Erklärung des Problems, das das Gemälde befallen hat, liefern.«
    »Pssst!«, zischte die Sensibylle und warf einen wütenden Seitenblick auf den Plemplem. »Wie soll ich mich denn konzentrieren, wenn du die ganze Zeit hinter mir herumschreist?«
    Oksa zwinkerte dem Plemplem zu, der vor Verlegenheit dunkelviolett angelaufen war, und versuchte, nicht loszulachen. Dass die Sensibylle einen Hang zur Hysterie hatte, war ja

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