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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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schöpften die Rette-sich-wer-kann neue Hoffnung, während Oksa sich bereits darauf konzentrierte, Erinnerungen, Gedanken und Bilder heraufzubeschwören, über die sie sich aufregen könnte. McGraw und Mortimer waren die Ersten, die ihr einfielen. Doch zu ihrer großen Überraschung stellte sie fest, dass sie eigentlich nur Mitleid für sie empfand. Das letzte Bild, das sie von dem Treubrüchigen hatte, im Keller, kurz bevor er zerstob und von dem schwarzen Loch der Crucimaphilla aufgesogen wurde, versetzte sie überhaupt nicht in Rage. Und wenn sie an Mortimer dachte, war er für sie nur ein Junge, der gerade seinen Vater verloren hatte. Also ließ sie weitere Erinnerungen Revue passieren: Das Bild ihrer an den Rollstuhl gefesselten Mutter brach ihr das Herz. Ihre Nase begann zu prickeln, als hätte sie zu viel Senf gegessen, doch das Gefühl, das sie dabei empfand, hatte nichts mit Wut zu tun. Eine Woge tiefer Traurigkeit und großer Angst um ihre Mutter machte ihr das Herz schwer. Das war nun aber überhaupt nicht der richtige Weg! Ihre Gedanken wanderten zu Zoé und ihrem harten Los. Die Sanftmut und der Tiefsinn ihrer Freundin fehlten ihr sehr. Dann dachte sie an Dragomira. Ihre Baba. Sie sehnte sich danach, sich ihr in die Arme zu werfen, ihr zuzusehen, wie sie geschäftig in ihrem Streng-vertraulichen-Atelier hantierte, und ihre großartigen ukrainischen nalisniki zu kosten. Nein! Sie verlor sich mehr und mehr in reinen Wunschträumen, fern der Wirklichkeit, anstatt sich selbst in Wut zu versetzen.
    »Weißt du was, Oksa?«, sagte Gus jetzt mit schwacher Stimme. »Ich bin ein totaler Versager. Ich habe es nicht verdient, dein Freund zu sein.«
    Wie vor den Kopf geschlagen blickte Oksa auf.
    »Gus! Hör auf damit, das ist doch jetzt wirklich nicht der passende Zeitpunkt!«
    Tugdual warf ihr einen eisigen Blick zu.
    »Ausnahmsweise hat Gus vollkommen recht!«, warf er ein.
    »Wenn ich was von dir wissen will, sag ich dir vorher Bescheid, verstanden?«, entgegnete Gus, der sich aufgesetzt hatte und sich am Arm seines Vaters festklammerte. »Es tut mir wirklich leid, Oksa. Es ist alles meine Schuld. Ich bin für alles verantwortlich, was uns hier zustößt. Ich bin zu dem Gemälde gegangen, anstatt auf dem Absatz kehrtzumachen und davonzurennen. Ich musste unbedingt hingehen und den starken Mann spielen, dabei bin ich doch nur ein totaler Versager. Hörst du? ICH BIN EIN TOTALER VERSAGER! Der größte Versager der Welt, zu nichts anderem gut, als seine beste Freundin, seinen Vater und seine Freunde einem psychopathischen Wesen zum Fraß vorzuwerfen!«
    »He! So langsam reicht’s!«, schrie Oksa, und versuchte nicht daran zu denken, dass Gus maßlos übertrieb, um sie in Wut zu versetzen.
    »Das stimmt allerdings, das war wirklich nicht allzu klug von dir«, sagte Tugdual herablassend. »Aber was soll’s. Von so einem wie dir war ja auch nichts anderes zu erwarten!«
    »Tugdual!«, rief Oksa empört.
    »Halt doch die Klappe!«, fuhr Gus ihn an. »Wenn man weiß, was du so alles gemacht hast … also, ehrlich!«
    »Was habe ich denn deiner Meinung nach gemacht?«, fragte Tugdual in hartem Ton.
    »Na, die kleinen Zeremonien mit deinen Grufti-Freunden, wenn ihr euch gemütlich um einen Topf mit einer leckeren Suppe aus Ratten- und Kröteninnereien versammelt habt. Das hast du wohl schon vergessen?«
    Tugdual wurde blass. Sein Blick verschleierte sich, er presste die Lippen aufeinander. Oksa wusste nicht mehr, was sie davon halten sollte. Führten die Jungen ein Theaterstück auf? War es ein abgekartetes Spiel, um sie zu reizen? Oder waren sie beide so am Ende, dass sie sich nun rücksichtslos zerfleischten?
    »Du bist widerlich, Tugdual!«, fuhr Gus fort, während sein Rivale nur stocksteif und mit geballten Fäusten dastand und ihn anstarrte. Dann schoss er zurück.
    »Immer noch besser, als mittelmäßig zu sein! Außerdem magst du mich widerlich finden, aber gewisse andere Personen sehen das ganz anders, was sagst du dazu?«
    »Ich bin jedenfalls lieber mittelmäßig als ein dreckiger Mauerwandler! Ein Komplize der Gefühlsfresser mit den schleimigen Nasen!«
    Tugdual blitzte ihn ebenso überheblich wie wütend an. Oksa schlug die Hand vor den Mund und sah entsetzt von einem zum anderen. Klar, sie hassten sich. Aber doch nicht so sehr, dass sie sich solche Beleidigungen an den Kopf werfen würden, oder? Es passte so gar nicht zu Gus, und Tugdual war viel zu stolz, um sich derart provozieren zu lassen. Aber

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